Die Teeprinzessin
Tante Wang.« Zu Betty gewandt, sagte sie, dass der Mann das Baby auf Befehl von Tante Wang nun baden würde, das würde dem Baby sicherlich guttun.
Tante Wang musterte die drei jungen Frauen abschätzig. »Wie tragt ihr eure Haare?«, meckerte sie dann. »Alles fliegt herum. So etwas möchte ich in meinem Haus nicht sehen. Ihr seht aus wie die Huren der Goldwäscher.« Ihre blauen Augen blitzten wütend.
»Entschuldige, Tante Wang«, beeilte sich Lisi zu sagen, nestelte in einer Tasche ihres Gewandes herum und förderte ein Haarband zutage, das sie schnell in ihre Haare flocht.
»Das muss strammer sein!«, forderte Tante Wang. »Du sollst deine Haare wie eine Chinesin flechten und nicht wie ein französisches Flittchen!«
Lisi löste ihre Haare und begann mit fliegenden Fingern, sie erneut zu flechten. Sikki kramte mit zitternden Fingern in Bettys Tasche, förderte die blaue Haarspange zutage und drückte sie Betty in die Hand, für ihre eigenen Haare hatte sie eine schmale Messingspange gefunden.
Da schnellte Tante Wangs Kopf zu Betty herum. Fast hätte Betty vor Schreck die Spange fallen gelassen, schaffte es aber noch, sie in ihren Haaren zu befestigen. Währenddessen beobachtete Tante Wang sie wie ein fremdartiges Insekt.
»Das hier sind meine Freundinnen Betty und Sikki«, beeilte sich Lisi zu sagen.
Tante Wang hob herrisch eine Hand. Ihr Blick war immer noch auf Betty geheftet. Es war ein Gefühl, als ob sie ihr ein Loch in den Kopf brennen wollte.
»Sie sind keine Chinesin!«, stellte Tante Wang übellaunig fest. »Und keine Inderin, auch wenn Sie einen zerschlissenen Sari tragen. Was wollen Sie überhaupt hier?«
»Ich wollte mit einer indischen Teelieferung bis nach Hamburg fahren, aber dann konnte ich mit der Ware nicht nach Amerika einreisen, und zudem ist unten am Hafen aller Tee von Dieben geplündert worden!«, antwortete Betty.
»Sie machen also andere Leute dafür verantwortlich, dass Ihr Teehandel nicht floriert«, schnarrte Tante Wang. »Zudem frage ich mich, ob Sie nicht falsch herum um den Erdball fahren? Wäre es nicht Richtung Westen etwas kürzer gewesen?«
Betty nickte. »Wegen des Opiumkrieges gab es keine freien Schiffsladeplätze von Kalkutta nach Europa, und daher...«
Tante Wang gab einen Grunzlaut von sich. »Daran sind also auch wieder die anderen schuld, nicht wahr? Das ist sehr interessant. Was haben Sie nun vor? Weiterhin mit fliegenden Haaren in fremder Leute Wohnzimmer herumstehen?«
Betty griff instinktiv an die blaue Spange in ihrem Haar und steckte sie noch etwas fester. Schon brannte es an den Schläfen.
Tante Wang grinste boshaft. »Ich finde, dass Sie sehr unhöflich auftreten. Sie benehmen sich nicht wie ein Gast. Sie stecken voller Urteile über Menschen, die Sie noch nie zuvor gesehen haben. Das ist nicht gut!«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen.« Betty spürte selbst, dass ihre Stimme brüchig würde. Sikki zog an ihrer Hand. Sie sollten
jetzt besser gehen, sollte das wohl heißen. Betty stand trotzdem da wie festgewachsen.
Tante Wang hustete. »Sie haben Ihre Mitreisenden auf dem Schiff als Diebe bezeichnet. Dabei wissen Sie nichts über sie. Sie verstehen ja noch nicht einmal unsere Sprache.« Sie rappelte sich aus ihrem Sessel hoch und stemmte sich mühsam auf die Füße. Dazu murmelte sie etwas, das Betty nur bruchstückhaft verstand. War es etwas wie »Mag der Himmel wissen, was der Junge an ihr findet!«?
»Von wem sprechen Sie da?« Bettys Herz hatte einen Schlag lang ausgesetzt, jetzt schlug es plötzlich doppelt so schnell. »Was haben Sie eben gesagt?« Sie merkte selbst, wie schrill ihre Stimme auf einmal klang.
Tante Wang schien völlig ungerührt. »Meine Cousine Sahing ist eine törichte Person, das habe ich nur gesagt. Sie war immer die Unbeherrschteste der Weißen Tiger. Und ausgerechnet sie, Bajung, ist die Chefin der Weißen Tiger geworden!«
»Bajung?« Betty hätte Tante Wang am liebsten am Ärmel festgehalten.
»Ja, Bajung, die Chefin der Weißen Tiger. Ich habe gehört, ihr Europäer nennt uns Teemafia. Eine unsinnige Bezeichnung!«, schnarrte sie.
»Dann ist Bajung eine Frau? Die Dame Sahing ist Bajung?«
»Natürlich. Was dachtest du denn, dummes Kind, wer dich aus den Fängen der Taiping gerissen hat? Glaubst du etwa, dass außer Bajung noch irgendjemand in China so etwas wa gen würde? Und dass die Taiping sich von irgendjemand anderem ihre Gefangenen rauben lassen, noch dazu ohne Gegenwehr? Wie töricht!« Tante Wangs
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