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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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sie wollte ihn ruinieren, ganz egal, was es kostete. Es war nicht Gerechtigkeit, die sie antrieb, das wußte sie, sondern blanke Rache. Der einzige Wermutstropfen in ihrem Plan bestand darin, daß Bowler Sheehan nicht darin einbezogen war. Nächtelang war sie bei Kerzenschein in ihrem Schlafzimmer auf und ab gegangen und hatte sich den Kopf zermartert, um eine Möglichkeit zu finden, damit auch er für seine Tat bezahlte. Aber sie hatte kein Rezept gefunden, auch das zu bewerkstelligen. Die einzige Möglichkeit bestand darin, Burton zu zwingen, ihn als Komplizen beim Mord an ihrem Vater zu benennen. Doch dafür mußte Burton zuerst seine eigene Schuld eingestehen – was er nie tun würde. Ganz gleichgültig, wie oft sie das Problem auch hin und her wendete, sie fand keine Lösung. Zehn Jahre lang lebte sie nun mit dem schrecklichen Wissen, was Burton und Sheehan ihrem Vater – ihrer ganzen Familie – angetan hatten. Und mußte immer noch warten. Immer noch machtlos. Behindert durch die Unfähigkeit ihres Maklers, mehr Aktien aufzutreiben, und durch ihre eigene, sich einen Plan zu Sheehans Vernichtung einfallen zu lassen. Wie lange müßte sie sich noch gedulden?
    Hurst legte seine Papiere zusammen. »Ich tu mein Bestes, Fiona, aber ich bezweifle, daß ich vor Monatsende weitere Aktien kriegen kann.«
    Sie drehte sich abrupt um. »Peter, ich brauch sie jetzt, nicht nächsten Monat. Schicken Sie jemand nach London. Treiben Sie Aktienbesitzer auf, und schütteln Sie die Papiere aus ihnen raus!«
    »Ich verstehe Ihre Enttäuschung«, sagte er, erschrocken über die Schärfe in ihrer Stimme, »aber Sie müssen begreifen, daß Sie zweiundzwanzig Prozent besitzen und der Eigner einundfünfzig Prozent zurückbehält. Da bleibt nicht viel auf dem Markt.«
    »Ich kann nicht glauben, daß er immer noch einundfünfzig Prozent hält. Er wird doch bald was verkaufen müssen.«
    »Er hat sie so lange gehalten, Fiona, und wird jetzt nicht verkaufen.«
    »Aber er steckt bis über beide Ohren in Schulden«, erwiderte Fiona, auf der Kante ihres Schreibtisches sitzend. »Er hat sich fast dreihunderttausend Pfund von der Albion-Bank geliehen. Seine Plantage in Indien ist pleite, und sein Vorstoß auf den amerikanischen Markt ist mißglückt.« Ein schadenfrohes Lächeln strich über ihr Gesicht bei der Erinnerung. Sie persönlich hatte dieses Desaster bewerkstelligt, indem sie hemmungslos seine Preise unterbot – selbst wenn sie dabei draufzahlen mußte. Im Juni 1894 hatten Burtons Vertreter eine Niederlassung auf der Waterstreet eröffnet. Im Januar des folgenden Jahrs mußten sie schließen. »Er muß Kapital auftreiben, Peter, deshalb wird er einen Teil seiner Aktien verkaufen. Er hat keine andere Wahl.«
    Hurst schüttelte den Kopf. »Fiona, ich muß Ihnen etwas sagen – nicht nur als Ihr Makler, sondern als Ihr Freund –: Ich verstehe Ihre Obsession mit dieser Aktie nicht. Das habe ich nie getan. Die Firma ist finanziell nicht gesund, wie Sie ja selbst sagen. Sie haben recht, was die Verschuldung anbelangt. Sie ist zu hoch. Noch ein Fehlschlag, und er könnte seinen Kredit nicht mehr zurückzahlen. Sie haben ungeheuer viel Geld in Burton Tea investiert, aber diese Aktien sind nichts als eine Schuldenmasse. Sie sollten keine mehr kaufen. Sie sollten …«
    »Peter, Sie wissen nicht, was ich sollte!« schrie Fiona. »Verschaffen Sie mir einfach diese gottverdammten Aktien!«
    Peter wurde bleich. Nicht ein Mal in all den Jahren, die sie sich kannten, hatte sie ihn so grob angefahren. Er stand auf, stopfte seine Papiere in seine Aktentasche und sagte, er hoffe, nächste Woche etwas für sie zu haben.
    Beschämt legte Fiona die Hand auf seinen Arm. »Tut mir leid, ich wollte Sie nicht anschreien. Ich … ich bin heute einfach nicht ich selbst …«
    Er sah von seiner dick bepackten Aktentasche auf, und in seinem Blick mischte sich Besorgnis mit Verletztheit. »Schon als ich reinkam, wußte ich, daß etwas nicht in Ordnung ist. Sie sehen schlecht aus.«
    Was stimmte. Sie trug eine dunkle Weste mit schwarzer Paspelierung, eine gestärkte weiße Bluse mit einer grau-schwarz gestreiften Krawatte und einen engen schwarzen Rock. Die dunklen Farben unterstrichen ihre neuerdings hohlen Wangen und die Tatsache, daß sie eine Menge Gewicht verloren hatte. Ihre unbezähmbare Vitalität schien gezügelt. Sie wirkte irgendwie klein. Fragil.
    »Es geht um Nick, nicht wahr?« fragte er und sah auf das Foto auf der Kredenz hinter ihrem

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