Die Teerose
Frau mit einem so hübschen Gesicht, so schönen Kleidern und soviel Geld so traurige Augen haben konnte.
60
L iebling? Was um Himmels willen machst du denn?« fragte eine Stimme von drinnen. Ihr sehnsüchtig melodiöser Klang riß Joe Bristow aus seiner Träumerei. Seine Erinnerungen stiegen auf wie Nebel über einem See und verschwanden.
Er wandte sich vom offenen Fenster ab. Von der anderen Seite des Zimmers sah ihn eine schwarzhaarige Frau an, die, auf den Ellbogen aufgestützt, in ihrem geschnitzten Ebenholzbett lag. »Sterne anschauen«, antwortete er.
Sie lachte. »Wie komisch. Komm, schließ das Fenster. Ich erfriere!« Sie zündete sich eine Zigarette an und nahm einen tiefen Zug, während ihre grünen Katzenaugen begehrlich auf ihm haften blieben. Außer einem Paar juwelenbesetzter indischer Ohrringe war sie nackt. Ihre makellose blasse Haut nahm sich vor den rot und fuchsiafarben bestickten Vorhängen ihres Betts noch weißer aus. Ihr Körper war fest und schlank, mit kleinen Brüsten und schmalen Hüften. Ihr glattes dunkles Haar reichte gerade bis zum Kinn. Sie trug es kurz – ein gewagter Schritt, selbst für sie. »Komm wieder ins Bett«, schnurrte sie und stieß eine Rauchwolke aus.
»Ich kann nicht«, sagte Joe und schloß die Tür hinter sich. »Ich muß heute früh los. Nach Camden Town, um zu sehen, ob sich in der Gegend ein Montague’s tragen würde.« Er ging durch den Raum und hob seine Kleider vom Boden auf. Er redete zu schnell, das war ihm bewußt. Und die Ausrede war wenig glaubwürdig. Aber er konnte nicht bleiben. Er mußte fort, bevor sie die abgrundtiefe Trauer bemerkte, die ihn immer befiel, wenn er mit einer Frau geschlafen hatte, die er nicht liebte.
»Camden Town?« fragte sie mit zusammengekniffenen Augen. »Aber Camden ist doch näher bei mir als bei dir. Von Belgravia nach Greenwich heute abend und am Morgen nach Camden zurück ist doch wahnsinnig weit.« Sie setzte sich auf. »Warum wohnst du denn überhaupt in Greenwich?«
»Mir gefällt mein Haus«, antwortete er und schlüpfte aus dem geliehenen Morgenmantel. »Ich mag meine Obstgärten und bin gern am Fluß.«
»Nein, das ist es nicht«, sagte sie und ließ den Blick über seinen Körper streichen, über die langen muskulösen Beine mit dem leichten blonden Flaum, den festen Po und die anmutige Linie seines Rückens.
»Nein?«
»Nein. Dort draußen kannst du dir alles vom Hals halten. Auch deine Geliebten.«
Joe wollte etwas Versöhnliches sagen, aber sie winkte ab. Er hoffte nur, daß sie keine Schwierigkeiten machte.
Maud Selwyn Jones hatte ihn zu einem späten Abendessen zu sich nach Hause eingeladen. Um übers Geschäft zu sprechen, hatte sie gesagt. Sie war Dekorateurin – die beste von London –, und er hatte sie engagiert, um seinen fünfundvierzig Montague-Geschäften ein einheitliches Aussehen zu geben und für sein neues Flaggschiff in Knightsbridge die Innenausstattung zu entwerfen. Sie brauchte eigentlich nicht zu arbeiten bei all ihrem Geld, aber sie behauptete, es mache ihr Spaß und ärgere ihren Vater, was ihr immer Vergnügen bereitete. Sie war nicht nur für Inneneinrichtungen berühmt, sondern auch für ihre extravaganten Reisen. Trekkingtouren durch Nepal, Kamelritte durch Marokko, Zeltlager mit Beduinen in Arabien. Ihr früherer Ehemann, ein ungehobelter Trinker, soweit man wußte, war auf einer Reise nach Kairo umgekommen. Er hatte einen Restaurantbesitzer beleidigt, weil ihm das Essen nicht geschmeckt hatte, und war zwei Tage später erstochen in einer Gasse aufgefunden worden. Ein Überfall, hatte die Polizei behauptet, was allerdings niemand glaubte. Maud, die schon durch das Geld ihres Vaters aus walisischen Kohlegruben reich war, erbte nun auch noch seine Millionen. Sie war eine ruhelose Seele und liebte jedes Land, solange es nicht England war. Vor allem mochte sie den Fernen Osten, und wenn sie dort nicht hinreisen konnte – behaupteten Gerüchte –, zog sie ins East End. In die dunklen Straßen von Limehouse mit ihren berüchtigten Opiumhöhlen.
Sie und Joe hatten zum Essen eine ziemliche Menge Wein getrunken und anschließend Brandy in ihrem Salon. Nachdem die Flasche leer war, hatte sie sich zwischen seine Knie gekniet und ihn auf den Mund geküßt. Er genoß den Kuß, aber als er vorbei war, hatte er ihr umständlich erklärt, daß er kein sonderlich romantischer Typ sei …
»Was?« hatte sie spöttisch gefragt. »Kein Typ zum Heiraten? Mach dir nichts vor,
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