Die Teerose
Brust löste sich und ließ all den Schmerz und Zorn herausfließen.
Tränen rannen ihr übers Gesicht. Will nahm sie in die Arme und ließ sie weinen.
66
F iona saß mit aufgestützten Ellbogen an ihrem Schreibtisch, preßte die Finger an die Schläfen und versuchte, die rasenden Kopfschmerzen wegzumassieren. Vor ihr lag eine Aktennotiz von Stuart, der Verkaufsbericht über die neuen Teebeutel. Schon viermal hatte sie versucht, ihn zu lesen, war aber nie über den dritten Satz hinausgekommen. Darunter lag ein Stapel Briefe und Rechnungen, um die sie sich kümmern mußte. Ihre Sekretärin wartete darauf. Sie wußte, wenn sie sich jetzt nicht zusammenriß, würde sie niemals alles schaffen.
Eine frische Maibrise wehte durchs offene Fenster, fuhr raschelnd durch ihre Papiere und streichelte ihr Gesicht. Sie erschauerte. Der Frühling verspottete sie. Draußen brach alles zu neuem Leben an. Tulpen, Freesien und Narzissen wandten die Blütenköpfe der Sonne zu. Hartriegel, Magnolien und Kirschbäume begannen zu blühen. Vergnügt lachende Kinder liefen mit ausgestreckten Armen durch den Park und freuten sich, daß die Welt zu neuem Leben erwachte.
Aber die Schönheit des Frühlings erleichterte ihr das Herz nicht, sondern machte sie nur noch bedrückter. Sie zuckte vor dem warmen Sonnenschein zurück, der ihr auf die Schultern fiel, und beim fröhlichen Gezwitscher der Vögel schrak sie zusammen. Alles lebte auf mit dem Versprechen des Frühlings, und sie? Sie fühlte sich innerlich tot. Nichts brachte ihr Freude – weder die Eröffnung einer neuen Teestube noch eine erfolgreiche Werbekampagne. Nicht einmal das Aufblühen ihrer geliebten Teerosen. Sie schaffte es nur, sich jeden Morgen zur Arbeit zu schleppen, und brachte kaum die Energie auf, Peter Hurst zum Erwerb weiterer Burton-Aktien zu drängen oder herauszufinden, ob sie zehn oder zehntausend Dosen Schnelle Tasse verkauft hatte.
Ihre Wanduhr schlug zwei. Sie stöhnte auf. Gleich würde Teddy Sissons kommen, um mit ihr Nicks Testament durchzugehen. Sie freute sich nicht auf seinen Besuch. Neuerdings ertrug sie überhaupt niemanden um sich. Allein mit Leuten zu sprechen war eine Anstrengung. Seufzend wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder Stuarts Bericht zu, entschlossen, ihn durchzulesen. Als sie mit der ersten Hälfte der Seite fertig war, klopfte es an die Tür.
»Fiona?« rief eine Stimme.
»Hallo, Teddy«, antwortete sie und zwang sich zu einem Lächeln. »Kommen Sie rein. Möchten Sie eine Tasse Tee?«
»Nein, danke«, sagte er und stellte seine Aktentasche auf ihren Schreibtisch. »Ich möchte lieber gleich zur Sache kommen. Ich hab um vier einen Gerichtstermin.«
Fiona machte Platz für ihn. Er zog einen Stapel Papiere aus seiner Tasche und setzte sich. Nachdem er sie ordentlich auf dem Tisch ausgebreitet hatte, sah er zu ihr auf. »Wie geht’s Ihnen?«
»Gut. Besser, viel besser.«
»Sie sind eine lausige Lügnerin.«
Sie lachte matt. »Dann eben gräßlich. In Ordnung?«
»Zumindest entspricht das der Wahrheit. Also … da wären wir.« Er reichte ihr eine Kopie des Testaments. »Das meiste ist Routine, aber bei einigen Punkten brauche ich Ihre Instruktionen.«
Er begann, die Abschnitte von Nicks Testament vorzulesen, die von den nichtgeldlichen Zuwendungen handelten. Er entschuldigte sich für die umständliche Juristensprache, was daran liege, daß Nick alles ganz genau hatte haben wollen. Fiona bemühte sich zu folgen, was ihr nur schlecht gelang. Als er zu Nicks verschiedenen Bankkonten kam und wie sie verwendet werden sollten, waren ihre Kopfschmerzen unerträglich geworden. Gerade als sie dachte, sie hielte es keinen Moment länger aus, kam er zur letzten Seite des Dokuments.
»Das wär’s, Fiona. Abgesehen von einer Sache.«
»Und die wäre?« sagte sie, halb blind vor Schmerz.
»Wie Sie sicher wissen, besaß Nick ein Anlagevermögen bei der Albion-Bank in London. Sein Vater hat ihm eine bestimmte Geldsumme ausgesetzt, als er England verließ, eine Summe, die in verschiedene Aktien investiert wurde und wiederum Profit abwarf.«
Sie nickte.
»Dieses Vermögen ist ebenfalls an Sie übergegangen und beläuft sich im Moment auf annähernd siebenhunderttausend Pfund.«
»Teddy, das kann nicht stimmen. Das sind ja über drei Millionen Dollar!«
»Ja, ich weiß. Es war vor einiger Zeit sogar noch mehr wert.«
»Aber wie ist das möglich? Auf dem Konto befanden sich etwa hunderttausend Pfund, als wir geheiratet
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