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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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Blick streifte von Roddy und Grace zu den Kindern. »Aber lieber nicht hier, finde ich.«
    »Warum machst du nicht einen Spaziergang mit Roddy?« schlug Grace vor. »Dann kann ich aufräumen, und ihr könnt euch unterhalten. Wenn ihr zurück seid, essen wir den Nachtisch.«
    Sie machten sich zu einem Spaziergang durch den nahe gelegenen Park auf. Der Julitag ging seinem Ende zu, aber die Sonne war noch warm und der Himmel wolkenlos.
    »Es gibt doch nichts Schöneres als den englischen Sommer, nicht wahr?« sagte Fiona und bewunderte die dichten Lupinenbüsche. »Früher ist mir das nie aufgefallen. Whitechapel war immer trostlos, egal zu welcher Jahreszeit. Aber heute bin ich durch den Hyde Park gefahren und hatte das Gefühl, noch nie etwas so Schönes gesehen zu haben.«
    Roddy stimmte ihr zu. Er folgte ihrem Geplauder über Wetter, Blumen und London und fragte sich, warum sie über alles redete, nur nicht darüber, warum sie hergekommen waren. Hatte es etwas mit Joe zu tun? Er hatte ihn bewußt nicht erwähnt, da sie schon selbst auf ihn zu sprechen käme, wenn sie es wollte. Oder hing es mit dem Geld zusammen, das sie Sheehans Aussage nach Burton gestohlen haben sollte? Was immer es war, ihr Zögern, das Thema anzuschneiden, sagte ihm, daß es sie immer noch schmerzte. Doch seiner Meinung nach war es besser, die Sache hinter sich zu bringen. Als löste man die Binden von einer Wunde. Was man am besten schnell und auf einmal machte. »Gibt es nicht etwas, was du mir sagen wolltest, Mädchen?« fragte er schließlich.
    Fiona nickte. Sie blickte starr vor sich hin, und er sah, daß ihre Kiefer mahlten. Dann wandte sie ihm das Gesicht zu, und er entdeckte einen anderen Ausdruck in ihren Augen. Es war eine beunruhigende Mischung aus Schmerz und Ärger – nein, nicht Ärger, sondern Wut –, und der war neu für ihn. Als sie bei ihm lebte, hatte er quälende Trauer in ihren Augen gesehen. Auch Hoffnungslosigkeit. Aber niemals diesen Ausdruck.
    »Das ist richtig, Onkel Roddy. Ich wußte nur nicht, wie ich anfangen sollte, und mußte erst den Mut dazu fassen.«
    »Fiona, du mußt keine vergangenen Dinge aufwühlen …«
    »Doch. Obwohl ich wünschte, ich müßte es nicht.« Sie deutete auf eine Bank. »Setzen wir uns doch.« Sobald sie saßen, begann sie zu sprechen. Ihre Geschichte, die so lange in ihr verschlossen gewesen war, brach aus ihr heraus. Sie erzählte ihm alles, und als sie zum Ende kam, saß Roddy vor Entsetzen zusammengesunken auf der Bank und hatte das Gefühl, er hätte einen Schlag in die Magengrube bekommen. »Tut mir leid, Onkel Roddy. Tut mir so leid«, sagte sie und nahm seine Hand.
    Er dauerte eine Weile, bevor er ein Wort herausbrachte. »Warum hast du mir das nicht schon früher erzählt?« fragte er schließlich. »Warum bist du nicht zu mir gekommen, statt fortzulaufen? Wir hätten sie festnehmen können.«
    Fiona schüttelte den Kopf. »Nein, Onkel Roddy. Denk doch mal nach. Außer mir gab es keine Zeugen. Niemand hätte mir geglaubt. Und ich wußte, daß ich in Gefahr war.«
    »Ich hätte dich beschützt. Du wärst sicher gewesen.«
    »Wie denn?« fragte sie leise. »Du hättest mich rund um die Uhr bewachen müssen. Sobald ich zur Arbeit, in ein Pub oder zu Grace gegangen wäre, hätte Sheehan zugeschlagen. Ich war bereits in Gefahr und wollte dich und Grace nicht auch noch gefährden. Ich mußte fort. Ich hab das einzig Richtige getan, das einzige, was mir eingefallen ist.«
    Roddy nickte. Er konnte sich vorstellen, wie verängstigt, wie absolut hilflos sie sich gefühlt haben mußte. Paddy. Ermordet. Ein quälender Schmerz packte ihn. Er senkte den Kopf und weinte. All die Jahre hatte er gedacht, er hätte ihn durch einen Unfall verloren – und das war schon schlimm genug. Aber das! Seinen besten Freund durch die Habgier eines Mannes zu verlieren … es war unfaßbar. Er weinte lange, und als er keine Tränen mehr hatte, blieb er bewegungslos sitzen. Nach einer Weile hörte er Fiona fragen, wie es ihm gehe.
    Er hob den Kopf und wischte sich die Augen ab. »Ich hab gerade … über alles nachgedacht«, antwortete er. »Über die Ungerechtigkeit. Es ist vor zehn Jahren passiert, und du hast gesagt, es gebe keine Zeugen außer dir … aber es muß doch trotzdem eine Möglichkeit geben, Burton und Sheehan für ihre Tat zur Verantwortung zu ziehen. Ich zermartere mir das Hirn, aber mir fällt nichts ein, wie man die beiden drankriegen könnte.»
    »Mir schon, glaube ich. Zumindest einen von

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