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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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Ankunft im Hotel Savoy am Tag zuvor war die Fahrt zu Pearsons Büro ihr erster Ausgang gewesen. Während der letzten vierundzwanzig Stunden hatte sie eine Welt des Prunks und des Reichtums gesehen – ein London, das sie nicht kannte. Ihre Suite war prachtvoll, und sie wurde rundum bedient. Die Straßen zu den ehemaligen Gerichtshöfen waren luftig und elegant, die Häuser und Geschäfte darauf vornehm.
    Doch sie wußte, daß dies nicht das ganze London war. Im Osten erstreckte sich eine andere Stadt voller Armut, Mühsal, Hunger und Härte. Genau dieses andere Gesicht der Stadt interessierte sie, und dorthin würde sie sich heute abend begeben. Direkt nach Whitechapel zu gehen ertrug sie noch nicht – aber nach Bow würde sie fahren, um Roddy zu besuchen. Es war ein Wiedersehen, nach dem sie sich sehnte, das sie gleichzeitig aber auch fürchtete. Sie freute sich, ihn wiederzutreffen, doch sie wußte auch, daß sie ihm sagen müßte, was mit ihrem Vater tatsächlich geschehen war, und das würde ihm das Herz brechen.
    »Hier wären wir«, rief Pearson plötzlich aus und blieb kurz stehen. Er öffnete eine Tür und stieß hervor: »O je! Tut mir furchtbar leid, Lazenby! Ich wünsche Ihnen einen guten Tag. Und Ihnen auch, Sir. Entschuldigen Sie.« Schnell zog er die Tür wieder zu, und Fiona hörte, daß der Mann, der offensichtlich Lazenby war, Pearson sagte, daß seiner Meinung nach Phillips Büro frei sei. Und dann vernahm sie eine andere Stimme, zweifellos die von Lazenbys Klienten, die Pearson erklärte, daß es nichts zu entschuldigen gebe.
    Etwas an dieser Stimme ließ sie wie angewurzelt stehenbleiben. Es war eine männliche Stimme. Eine warme Stimme. Lebendig und humorvoll, mit starkem Ostlondoner Akzent. Sie machte ein paar Schritte vorwärts und ergriff, verzaubert von ihrem Klang, den Türknopf.
    »Hier entlang, Mrs. … ähm … Mrs. … o verflixt!«
    »Soames«, sagte Fiona und zog die Hand zurück. Was um Himmels willen machte sie da? Sie konnte doch nicht einfach zu einem Anwalt und seinem Klienten hineinplatzen.
    »Ja, natürlich. Soames«, sagte Pearson und führte sie zu einer Treppe. »Versuchen wir’s im anderen Stockwerk. Dieses Büro ist belegt. Ein sehr wichtiger Klient. Ich seh ihn ständig hier, kann mich aber nicht an seinen Namen erinnern. Kann mir einfach keine Namen merken. Barton? Barston? Irgendwas in der Art. Ihm gehört eine riesige Kette von Feinkostläden. Wie heißen sie noch mal? Montague’s! Ja, so heißen sie!« Er drehte sich zu Fiona um und klopfte sich an den Schädel. »Das Räderwerk funktioniert wenigstens noch!« sagte er erfreut.
    Fiona fragte sich nicht zum erstenmal, warum Teddy ihr ausgerechnet diesen Mann empfohlen hatte.
    »Ein sehr erfolgreicher Bursche, dieser Barton«, fuhr Pearson fort. »Hat sich aus dem Nichts hochgearbeitet. Sie sind in der gleichen Branche, nicht wahr? Abgesehen von ihrem Teehandel? Teddy hat, glaube ich, etwas von einer Ladenkette erwähnt in seinem Brief. Sie müssen sich unbedingt ein Montague’s ansehen. Absolut erstklassige Geschäfte.« Oben an der Treppe blieb er wieder stehen. »Er macht nächste Woche in Knightsbridge sein Flaggschiff auf. Was groß gefeiert wird. Die ganze Firma ist eingeladen. Warum begleiten Sie mich und meine Frau nicht? Wir könnten vorher zusammen zu Abend essen und dann zu der Party gehen.«
    Fiona lehnte seine Einladung höflich ab – sie hatte Wichtigeres vor, als zu Partys zu gehen –, aber Pearson bestand darauf. Es schien, als ließe der Mann nicht locker, bevor sie einwilligte, und da sie endlich über ihr Anliegen reden wollte, willigte sie schließlich ein. Erfreut führte er sie in ein freies Büro, bellte den Schreiber an, Tee zu bringen, und wandte sich der Arbeit zu.
    Er las nochmals die Papiere, die Teddy geschickt hatte, und stellte ihr dann eine Unmenge von Fragen. Dabei fiel der Anschein von Zerstreutheit von ihm ab, und Fiona bemerkte, daß Teddy sie tatsächlich an einen fähigen und erfahrenen Juristen verwiesen hatte.
    »Ihr Anspruch ist absolut legitim, Mrs. Soames«, erklärte er schließlich, immer noch die Dokumente durchgehend. »Und wird vor Gericht sicher standhalten.«
    »Freut mich, das zu hören«, sagte Fiona erleichtert.
    »Aber, wie Teddy Ihnen sicher gesagt hat, wird es ein langwieriger und teurer Prozeß werden.«
    Ihr sank das Herz. »Gibt es denn nichts, womit Sie ihn beschleunigen könnten, Mr. Pearson? Keine Maßnahmen, um ihn abzukürzen? Keine Möglichkeit,

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