Die Teerose
alt war sie? Wurde bei beiden das gleiche Messer verwendet? Irgendwelche anderen Verletzungen? Wunden?«
Roddy öffnete sein Jackett und zog ein Bündel Papiere heraus. »Das ist der gerichtsmedizinische Bericht über beide Frauen.« Devlin griff danach, aber er hielt es fest. »Sie gehören Ihnen … wenn Sie Sheehan und Burton heute abend auf die erste Seite setzen.«
Devlin nagte an seiner Lippe und dachte nach. Schließlich gewann seine Neugier die Oberhand, genau wie Roddy erwartet hatte. »Also gut, also gut«, willigte er ein.
»Ich möchte, daß Sie meiner Kollegin hier, Mrs. Soames, hundert Vorausexemplare zukommen lassen.«
»Sonst noch was? Ein Bild Ihrer Kinder auf Seite zwei?«
»Sie machen es?«
»Ja! Jetzt geben Sie mir den Bericht!«
Roddy reichte ihn ihm. »Sie lassen ihn mir in einer Stunde wiederbringen, Bobby. In einer Stunde. Schicken Sie einen der jungen Burschen. Sagen Sie ihm, er soll mir ein Schinkensandwich bringen oder Fisch und Chips, irgendwas. Es soll aussehen, als würde er mir mein Essen liefern. Er darf nicht wie ein Reporter aussehen. Verstanden? Ich gehe ein großes Risiko ein, wenn ich Ihnen das gebe.«
Devlin nickte, den Blick auf die Dokumente gerichtet. »Hören Sie sich das an, O’Meara. Hals von links nach rechts durchschnitten … Luftröhre verletzt … Speiseröhre ebenfalls … Messerspuren an der Wirbelsäule … Gesichtsverletzungen … möglicher Versuch der Ausweidung … er ist es!» rief er begeistert.
Roddy stand auf, Fiona ebenfalls. Er bemerkte, daß sie blaß aussah. Er wollte sie von hier wegbringen. In Anbetracht dessen, wie ihre Mutter gestorben war, mochte sie kaum Devlins Begeisterung für Blut teilen.
»Sie liefern Ihren Lesern doch eine wahrheitsgetreue Geschichte über die Huren, nicht, Bobby? Sie werden nichts Unverantwortliches tun und die Morde dem Ripper zuschreiben, der ja tot ist, wie wir alle wissen.«
»Keinesfalls«, erwiderte Devlin, immer noch lesend.
»Gut«, sagte Roddy erleichtert.
Grinsend sah Devlin auf. »Wir sagen, es ist der Geist des Rippers!«
»Ich kann’s nicht glauben, Roddy«, sagte Joe leise. »Paddy Finnegan wurde ermordet ?«
»Ja, Junge. Um die Organisierung der Dockarbeiter zu verhindern.«
Joe schwieg einen Moment, dann sagte er: »Sie hätte mich gebraucht, Roddy. Sie hätte mich so dringend gebraucht. Und ich hab sie verlassen. Hab mich von ihr abgewendet. Ihr nicht geholfen.«
»Hilf ihr jetzt. Wenn du sie je geliebt hast, tu, worum ich dich bitte.«
»Das werd ich. Und ich seh zu, daß Harrods, Sainbury’s und ein Dutzend andere mitmachen. Er soll nicht davonkommen damit. Nicht, wenn ich es verhindern kann.«
»Danke, Junge. Ich wußte, daß ich auf dich zählen kann. Ich möchte ihr ein bißchen Unterstützung verschaffen. Von dir und deinen Kollegen. Und von den Gewerkschaftern.« Er saß in Joes Büro in Covent Garden und war gerade dabei, wieder aufzubrechen. Er hatte eine lange Fahrt vor sich. »Ich muß los. Ich muß Pete Miller noch finden, den Leiter der Abteilung von Wapping.«
»Roddy, warte.«
»Ja?«
»Wo ist sie?«
Roddy schüttelte den Kopf. »Das darf ich nicht sagen.«
»Bitte, Roddy.«
»Ich glaub nicht, daß sie dich sehen will, Junge.«
»Das soll sie mir selbst sagen, und ich laß sie in Ruhe.«
»Du kannst nicht einfach bei ihr reinschneien, Joe!« erwiderte Roddy ärgerlich. »Lieber Himmel, meinst du nicht, daß ihr heute abend schon genug im Kopf herumgeht?«
»Ich geh nicht heut abend hin, sondern morgen. Wenn alles vorbei ist. Natürlich würde ich sie am liebsten sofort sehen. Aber das werd ich nicht tun. Ich geb dir mein Wort.«
Roddy sah ihn an. »Im Savoy«, sagte er schließlich. Er wollte ihn gerade noch einmal an sein Versprechen erinnern, aber Joe gab ihm keine Chance dazu.
»Trudy!« rief er und lief ins Büro seiner Sekretärin. »Verbinden Sie mich mit Harrods. Sofort!«
Tiefe Regenwolken, dunkel und unheilverkündend, zogen über London. Ein scharfer Wind peitschte sie voran und trieb sie von der Themse ins Landesinnere, über die Slums am Fluß hinweg nach Westen, über die Kontorhäuser der Stadt und weiter über Westminster und St. James – die Enklaven der Privilegien und Macht.
Es kommt ein Gewitter aus dem Osten, dachte Fiona. Sie konnte den Fluß im Wind riechen. Hatte der gleiche Wind durch die trostlosen Straßen von Whitechapel geblasen? fragte sie sich. War er durch die dünnen Wände der verfallenden Häuser gedrungen, durch die
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