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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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Menge, indem er die Sache hinauszog wie ein geübter Liebhaber, der die Lust durch Verzögerung steigert. Sid landete einen Schlag unter Charlies linkem Auge, und seine Haut platzte auf. Charlies Kopf schnellte zurück. Blut strömte aus der Wunde, die Menge johlte. Charlie schüttelte den Kopf, und Blut spritzte durch die Luft. Er war froh, daß die Wunde unter seinem Auge lag und das Blut ihn nicht behinderte. Sein Gegner trat ihm nun selbstbewußt entgegen. Charlie beobachtete die Position seiner Fäuste. Er hatte die Deckung geöffnet.
    Sid landete ein paar weitere harmlose Treffer, die Charlie einsteckte, während er ihn weiterhin wie ein Habicht beobachtete. Jedesmal wenn Sid zu einer Rechten ausholte, ließ er die Linke fallen. Er war außer Atem und schlug in einem bestimmten Takt, um Kraft zu sparen. Charlie behielt seine Fäuste dicht am Gesicht. Er durfte sich von Sid keinen weiteren Schlag aufs Auge verpassen lassen. Er holte tief Luft, achtete auf seine Standfestigkeit und beobachtete weiterhin Sids Schlagrhythmus. Rechte, Rechte, Rechte. Die linke Faust fiel nach unten, wenn die rechte vorstieß, dann ging sie wieder nach oben, und es folgte eine kurze Pause. Dann ein anderes Muster. Rechts, links, rechts. Noch einmal. Dann kamen wieder die Rechten. Sein Arm fiel herab und Pause. Er wartete. Sid schlug erneut mit seiner Rechten, seine Linke fiel herab, und Charlie versetzte ihm einen mächtigen Schlag direkt an die Schläfe.
    Wie ein Sack Kartoffeln fiel Sid zu Boden. Er stöhnte einmal auf, seine Lider flatterten kurz, und er war k.o. Es folgten ein paar Sekunden verblüffte Stille, während der Schiedsrichter bis zehn zählte, dann lief er zu Charlie hinüber, riß seinen Arm hoch und erklärte ihn zum Sieger. Die Menge brach in Jubelrufe aus, und viele riefen, daß sie so etwas noch nie gesehen hätten. Männer, die Charlie noch kurz zuvor ausgebuht hatten, lobten jetzt seine Zurückhaltung und sein Timing.
    Sid wurde zu einem Tisch getragen, wo seine Begleiter sich um ihn kümmerten. Charlie spuckte das Blut aus, das ihm in den Mund gelaufen war. Schnell brachten ihm bewundernde Zuschauer einen Stuhl, ein Glas Bier, saubere Handtücher und Wasser. Er wischte sich das Gesicht ab. Ein fülliger Mann in Weste und Hemdsärmeln, der eine abgeschabte schwarze Tasche bei sich hatte, stellte sich als Dr. Wallace, Denny Quinns Arzt, vor und kümmerte sich um seine Wunde. Er reinigte sie mit Wasser und Seife, dann betupfte er sie mit Whiskey, was Charlie zusammenzucken ließ. Als er eine Nadel und Faden herauszog, fragte Charlie, was zum Teufel er vorhabe.
    »Es ist eine tiefe Wunde«, sagte Wallace. »Wenn wir sie nicht gleich nähen, heilt sie ewig nicht und platzt beim nächsten Kampf sofort wieder auf.«
    Charlie nickte und riß sich zusammen, als Wallace die Nadel durch seine Haut stieß.
    »Sitz still, Junge. Du willst doch für die Mädels dein hübsches Gesicht behalten.« Er machte noch ein paar Stiche, fünf im ganzen, dann verknotete er den Faden. »Hübschen Schlag hast du dem Burschen versetzt. Hab ich noch nicht oft gesehen, und ich seh ‘ne Menge. Das Nähen geht aufs Haus. Und da kommt ein Teller mit Schnitzeln, eine Aufmerksamkeit von Mr. Quinn.« Wallace machte mit dem Kopf ein Zeichen in Richtung von Sid, der ausgestreckt auf einem Tisch lag. »Ich sollte lieber mal nachsehen, ob ich das schlafende Dornröschen aufwecken kann. Die Wunde muß saubergehalten werden.«
    Charlie dankte ihm, dann stürzte er sein Bier hinunter. Sobald das Glas leer war, wurde ein neues gebracht. Er stürzte sich auf den Teller mit Schweineschnitzeln, seit Tagen hatte er nichts als Brot und Margarine zu essen bekommen. Ein Mann brachte sein Hemd, das er anzog, aber nicht zuknöpfte, weil ihm zu heiß war. Männer, die Geld gewonnen hatten, traten zu ihm und sprachen ihm ihre Anerkennung aus.
    »Während des Kampfs wurden zweimal die Einsätze geändert«, sagte einer und zauste ihm durchs Haar. »Aber ich hab weiterhin auf dich gesetzt und einen Batzen gewonnen! Du hast das Zeug zu einer großen Karriere, Junge.«
    Der Mann war so glücklich, daß er Charlie zwei Shilling von seinem Gewinn abgab. Lächelnd steckte er das Geld ein. Der Kampf war genau so ausgegangen, wie er gehofft hatte – er hatte Eindruck gemacht. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und schloß die Augen. Die Aufregung des Kampfes war vorbei, und er war müde. Er atmete tief ein und zog die stickige Luft ein. Wie alle Räumlichkeiten

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