Die Teerose
er wäre vielleicht bereit für die anstehenden Dinge.
»Komm mit«, flüsterte Lucy und nahm ihn bei der Hand. Sie führte ihn nach oben in einen schmalen Gang mit Türen auf beiden Seiten. Vor einer blieb sie stehen, zog ihn an sich, küßte ihn, strich ihm durchs Haar, dann bis zu seinem Hintern hinab, den sie drückte und knetete wie ein Stück Teig.
»Möchtest du dein Bad jetzt oder später?« fragte sie flüsternd, während sich ihre Hände zu seiner Vorderseite bewegten.
»Was für ein Bad?« krächzte er und dachte an Denny Quinn, die Fünfpfundnote in seiner Tasche und an alles mögliche, um sich davon abzulenken, was sie mit ihren Händen anstellte. Denn falls ihm dies nicht gelang, würde er es nicht bis in ihr Bett schaffen. Zu seiner Erleichterung hörte sie auf und suchte in ihrem Korsett nach dem Zimmerschlüssel. Kichernd sperrte sie auf und zog ihn hinein. Und in Lucys dickem Federbett, in ihren weichen, sommersprossigen Armen lernte Charlie Finnegan eine ganz und gar neue Art des Vergessens.
14
B ei einem Frühstück aus Toast und Tee las Fiona mit glückstrahlendem Gesicht den Brief zum fünftenmal.
Liebe Fiona,
Hier sind zwei Shilling. Komm am Sonntag morgen nach Covent Garden. Nimm den Vierer-Bus von der Commercial Street, wo wir eingestiegen sind, als ich dich zu mir brachte. Steig in der Russell Street aus, wo ich dich abhole. Ich hab nur den halben Tag frei – um eins muß ich mit Tommy nach Jersey fahren, aber wenn du um neun hier bist, haben wir den ganzen Morgen für uns. Es tut mir leid wegen neulich und wegen des Guy-Fawkes-Tags. Ich weiß, daß du gerade eine schwere Zeit durchmachst. Ich vermisse dich und hoffe, daß es dir gutgeht.
Alles Liebe. Joe
Der Brief war gestern nachmittag angekommen. Eigentlich war es eher ein Päckchen – eine kleine Schachtel, in braunes Papier gepackt und verschnürt, die den Brief und zwei Shilling enthielt, jeder in Seidenpapier eingewickelt, damit nichts klapperte und den Postboten aufmerksam machte.
Fiona schwebte im siebten Himmel. Sechs Tage nach ihrem schrecklichen Streit hatte sie nichts von ihm gehört und gesehen und bereits an das Schlimmste gedacht. Vielleicht hatte sie ihn für immer vertrieben. Warum hatte sie mit ihm gestritten, wo sie ohnehin so wenig Zeit zusammen verbrachten? Es war alles ihre Schuld, er hatte nichts getan, als von seiner Arbeit zu erzählen. Sie hatte sich erneut von ihrer Eifersucht übermannen lassen. Doch sie wollte die Dinge unbedingt wieder ins Lot bringen, konnte aber nicht zu ihm fahren. Nicht einmal schreiben konnte sie ihm, weil sie nicht genug Geld für Papier hatte. Aber jetzt hatte er ihr geschrieben, und sie war aufgeregt und voller Hoffnung. Sie würde ihn sehen. Sie würden reden, und alles käme wieder in Ordnung. Sie brauchte ihn, brauchte die Sicherheit, von ihm geliebt zu werden.
Er hatte recht, sie machte schwere Zeiten durch. Grauenvolle tatsächlich. Jeder Tag schien ein neues Problem zu bringen, das gelöst werden mußte: Seamie mußte Handschuhe haben und einen Pullover, Charlie eine Jacke. Es war kalt geworden, und sie brauchten mehr Kohle. Die kleine Fabrik, die ihre Mutter mit Heimarbeit versorgte, hatte pleite gemacht. Sie hatte sich überall umgesehen – in Pubs, Läden und Küchen –, um einen zusätzlichen Job zu finden, aber niemand stellte sie ein.
Und das Schlimmste von allem war, daß sich Eileen mit dem Husten ihrer Mutter angesteckt hatte. Letzte Nacht war es ihr schlechtgegangen, sie keuchte, bis sie kaum mehr Luft bekam und Blut spuckte. Sie hatten sie schnell zum Arzt gebracht, aber er war sich nicht sicher, worum es sich handelte. Sie sollten sie beobachten, um zu sehen, ob die verschriebene Medizin anschlug oder nicht. Fiona hatte daraufhin Hoffnung geschöpft, aber ihre Ma war seltsam still gewesen. Als sie wieder zu Hause waren, hatte sie sich ans Feuer gesetzt und geweint. Fiona, die die Tränen ihrer Mutter mehr ängstigten als das Husten das Babys, fragte, was los sei.
»Es ist meine Schuld. Eileen hat sich bei mir angesteckt, und jetzt hat sie die Schwindsucht. Der Arzt wollte nichts sagen, aber ich weiß es.«
»Nein, das stimmt nicht«, antwortete Fiona entschieden, als könnten allein ihre Worte die schreckliche Krankheit abwehren. »Der Doktor hat gesagt, daß sie bloß einen rauhen Hals oder eine Entzündung hat. Er hat gesagt, wir sollen beobachten, ob die Medizin hilft, und in einer Woche wiederkommen. Genau das hat er gesagt, und
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