Die Teerose
er kennt sich schließlich besser aus als du.«
Ihre Mutter hatte sich die Augen abgewischt und genickt, aber nicht überzeugt ausgesehen. Seitdem hatte sie Eileen nicht mehr aus den Augen gelassen, kaum geschlafen und war immer abwesender und niedergeschlagener geworden. Und sie hatte abgenommen, wie alle in der Familie, weil das Geld fürs Essen nicht reichte. Tagelang hatten sie sich von Brot und Tee ernährt, bis Charlie letzte Nacht mit einer Fünfpfundnote und einer Platzwunde unterm Auge nach Hause kam. Er habe eine Arbeit als Möbelpacker, behauptete er. Die Arztrechnungen, die Kosten für Eileens Medizin, drei Wochen rückständige Miete und ein Einkauf auf dem Markt hatten das meiste des unverhofften Geldsegens aufgezehrt, aber jetzt war endlich etwas Gutes passiert. Joe hatte geschrieben, und sie würde ihn in ein paar Stunden sehen. Alle Mühsal war erträglich, solange sie sich an seine Liebe und ihren gemeinsamen Traum klammern konnte.
Als sie ihren Schal um die Schultern legte und sich zu erinnern versuchte, wie lange der Bus bis Covent Garden brauchte, tauchte das Gesicht eines Jungen im Fenster auf.
Er klopfte an die Scheibe. »Wohnen hier die Finnegans?« rief er.
»Ja. Wer bist du?«
»Mr. Jackson vom Bull schickt mich. Ich soll Fiona Finnegan ausrichten, daß sie wegen dem Job vorbeikommen soll. Aber gleich, wenn sie ihn noch haben will, hat er gesagt.«
»Was … jetzt sofort?«
»Das hat er gesagt.« Der Blick des Jungen wanderte zu dem Brotlaib auf dem Tisch.
Fiona schnitt eine Scheibe ab, strich etwas Margarine darauf und reichte sie ihm. Gierig schlang er das Brot hinunter und lief davon, auf der Suche nach einem anderen Botengang.
»Hallo, Ma«, sagte sie und beugte sich über das Bett, um ihre Mutter zum Abschied zu küssen. Sie schlief nicht, sondern lag nur mit geschlossenen Augen auf der Seite.
»Hallo, Schatz.«
Fiona seufzte. Früher hätte ihre Mutter sie mit Fragen über den neuen Job gelöchert – vor allem bei einer Arbeit in einem Pub –, bevor sie sie nur aus der Tür gelassen hätte. Jetzt war sie zu müde, um sich zu kümmern. Sie hatte Charlie nicht mal nach seiner Verletzung gefragt und nicht bemerkt, daß Seamies Wortschatz inzwischen die Ausdrücke »verdammt« und »Mistkerl« enthielt. Wir müssen hier raus, dachte Fiona. Das Leben in Adams Court war hart und niederschmetternd. Es veränderte sie, richtete sie zugrunde.
Sie schloß die Tür hinter sich und machte sich auf den Weg zum Bull. Wenn sie sich beeilte, konnte sie zu dem Pub gehen, mit Mr. Jackson sprechen und trotzdem noch vor neun in Covent Garden eintreffen. Als sie vor ein paar Tagen mit ihm gesprochen hatte, hatte er keine freie Stelle gehabt. Jemand mußte ausgefallen sein. Gerade heute! dachte sie. Aber es war nicht zu ändern, und Joe hätte sicher Verständnis, wenn sie ein wenig zu spät kam. Wenn sie den Job bekam, hätte sie ein paar zusätzliche Shilling in der Tasche und könnte während der Woche vielleicht ein bißchen Fleisch zum Essen besorgen oder eine Flasche Tonikum für ihre Mutter. Vielleicht passierten ja zwei Glücksfälle hintereinander. Ein bißchen Glück für sie war längst überfällig.
Beim Pub angekommen, klopfte sie an die Tür, und kurz darauf ließ sie ein kräftiger Mann mit rotem Gesicht und großem Walroßschnäuzer eintreten.
»Du bist aber schnell da«, sagte Ralph Jackson. »Ich hab doch grad erst den Jungen losgeschickt, um dich holen zu lassen.«
»Ja, Sir«, antwortete Fiona lächelnd, in der Hoffnung, einen guten Eindruck zu machen. »Ich wollt Sie nicht warten lassen.« Tatsächlich wollte sie Joe nicht warten lassen, aber das brauchte Mr. Jackson ja nicht zu wissen.
»Gut, das gefällt mir bei meinen Angestellten. Also, glaubst du, daß du das schaffst? Es ist keine leichte Arbeit. Und auch keine angenehme. Es braucht viel Kraft in den Knochen, eine Kneipe sauberzukriegen.«
»O ja, Mr. Jackson. Ich schaff das schon. Ich werd eine erstklassige Arbeit für Sie machen.« Ich werde die Fenster putzen, bis sie blitzen und den Boden scheuern, bis er glänzt, dachte sie. Ich werde die Gläser und die Bar polieren und selbst deinen großen haarigen Arsch küssen. Aber gib mir den verdammten Job!
»Es sind drei Abende die Woche und Samstagnachmittag und Sonntagmorgen. Der Lohn ist zweieinhalb Pence die Stunde und eine Mahlzeit mit einem Getränk nach freier Wahl, wenn du fertig bist.«
»Ja, Sir.«
Mr. Jackson nagte an seiner Unterlippe und sah Fiona
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