Die Teerose
Bett hinüber. Fiona hatte sich in den Schlaf geweint. Eine Woche war nun vergangen, seit Charlie sie vom Fluß zurückgebracht hatte, und es war noch keine Besserung bei ihr eingetreten. Trotz aller Versuche, ihr Fieber herunterzubringen, sank es nicht. Sie war leichenblaß und weigerte sich zu essen. Kate schaffte es nur, ihr ein bißchen Brühe einzuflößen.
Das Fieber machte Kate Sorgen, aber noch mehr sorgte sie sich um Fionas seelischen Zustand. Sie wehrte sich nicht gegen ihre Krankheit, zeigte nicht die geringste Anstrengung, dagegen anzukämpfen. Ihr strahlendes, fröhliches Mädchen war zu einer Fremden mit erloschenen Augen geworden. Es brach ihr das Herz, das mit anzusehen. Immer hatte sie sich über ihre hochfliegenden Pläne, ihren Entschluß, einen Laden aufzumachen, Sorgen gemacht. Jetzt hätte sie alles darum gegeben, ihre Tochter von einem Laden reden zu hören, von irgend etwas, wenn nur ein wenig von ihrer alten Begeisterung wieder zum Vorschein käme.
Kate hatte all die Krankheiten ihrer Kinder mitgemacht, aber nie hatte sie etwas wie Fionas Leiden gesehen. Es gab keinen Grund für ihr Fieber, sie hatte keinen Husten, mit ihrer Brust war alles in Ordnung. Sie hatte keine Magenschmerzen, erbrach sich nicht. Ihre Stiefel und Strümpfe waren tropfnaß gewesen, als Charlie sie heimbrachte, aber Kate glaubte nicht, daß das Fieber von einer Erkältung herrührte. Kein Arzt würde ihr zustimmen, aber sie war überzeugt, daß es von einem gebrochenen Herzen kam.
Als sie herausfand, was geschehen war, hätte sie Joe am liebsten den Hals umgedreht. Schließlich hatten Sorge und Angst ihrem Ärger Platz gemacht. Hauptsächlich um ihre Tochter, aber auch um Joe. Rose Bristow war vorbeigekommen und hatte ihnen fast zwanzig Pfund von ihrem Sohn überbracht. Das Geld, das Fionas Traum hätte finanzieren sollen. Jetzt würde es für Arztrechnungen, Medizin und eine neue Wohnung verwendet werden. Fiona bestand darauf, daß die Familie es nahm. Kate hatte sich geweigert, sie gebeten, nicht aufzugeben, aber sie war eisern geblieben.
Bei Fionas Anblick brach Rose in Tränen aus. Sie wollte nicht, daß ihr Sohn Millie heiratete, weil sie wußte, wie sehr er Fiona liebte. »Der dumme, dumme Kerl«, sagte sie bitter. »Er hat sein Leben ruiniert. Du bist besser dran als er, Fiona. Du kannst immer noch jemand finden, den du liebst, und irgendwann wirst du das auch. Er nie.«
Kate lehnte den Kopf an die hohe Stuhllehne und schloß die Augen. Sie hörte leises Singen durch die Wand dringen. Frances mußte zu Hause sein, dachte sie. Die Wände zwischen den Häusern waren so dünn, daß sie oft ihr Singen und das Klappern von Töpfen hören konnte oder, schlimmer noch, die Geräusche, wenn sie einen zahlenden Herrn bei sich hatte. Dennoch war sie froh zu wissen, daß Frances zu Hause war. Charlie war in letzter Zeit nicht viel daheim, und Lucy Brady lag im Entbindungsheim, um ihr Baby zur Welt zu bringen. Es war ihr angenehm, jemanden in der Nähe zu wissen, den sie rufen konnte, um bei Seamie und Fiona zu bleiben, falls sie für Eileen den Arzt holen mußte.
Sie gähnte. Mein Gott, bin ich müde, dachte sie. Ich geh jetzt ins Bett. Statt dessen nickte sie ein. Ein paar Stunden später wachte sie auf, weil sie dachte, sie hätte jemand schreien hören, dann döste sie wieder ein, überzeugt, nur geträumt zu haben. Ein paar Minuten später schreckte sie hoch. Das Baby atmete schwer, sein Gesicht war rot. Kate nahm Eileen hoch und versuchte, sie zu beruhigen, versuchte, nicht in Panik zu verfallen. Sie beschloß, den Arzt gleich zu holen, bevor das schwere Atmen in Keuchen überging. Schnell legte sie das Baby in den Korb zurück und griff nach ihrem Schal.
»Was ist, Ma? Was ist los?« fragte Fiona verschlafen.
»Es ist wegen Eileen. Ich hol den Doktor.«
»Ich hol ihn«, antwortete sie. Sie stand auf und hielt sich mit einer Hand am Bett fest, um nicht umzukippen.
»Leg dich wieder hin. Sofort. Ich hol Frances, damit sie bei dir bleibt.«
Kate nahm den Korb mit dem Baby und lief zu Frances. Sie klopfte an die Tür. Keine Antwort. In heller Aufregung spähte sie durch das schmutzige kleine Fenster daneben und rieb mit dem Ärmel die Scheibe sauber. Im Schein des schwachen Kaminfeuers sah sie Frances auf dem Bett liegen und einen Mann, der sich mit hochgekrempelten Ärmeln über sie beugte. Sie hatte einen Kunden, der allem Anschein nach sein Geschäft gerade beendet hatte. Kate war zu verzweifelt, um darauf
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