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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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ist passiert?« Sein wütender Gesichtsausdruck verwandelte sich in eine Miene tiefster Besorgnis. »Dich hat doch kein Kerl belästigt, Fee?« Er faßte sie an den Schultern. »Dich hat doch niemand angefaßt? Hat Sid Malone …«
    Fiona schüttelte den Kopf.
    »Was ist denn dann los?«
    »Ach, Charlie«, rief sie aus und stürzte in die Arme ihres Bruders. »Ich hab meinen Joe verloren.«

   18   
    I n einem schönen dunkelgrauen Anzug stand Joe am Altar. Er blickte in Richtung der Kirchentür und erwartete seine Braut. Harry Eaton stand an seiner Seite.
    »Alles in Ordnung, alter Junge?« flüsterte Harry, besorgt über die wächserne Blässe seiner Freundes.
    Er nickte, obwohl nichts in Ordnung war. Er fühlte sich wie erstarrt, als befände er sich in einem Alptraum und könnte weder schreien noch davonlaufen. Er saß in der Falle. Sein Vater hatte ihm nicht beigebracht, sich vor seiner Verantwortung zu drücken. Er war erwachsen und mußte sich ihr stellen. Er hatte einen fatalen, dummen Fehler gemacht und mußte nun für den Rest seines Lebens dafür büßen. Sein ganzes verdammtes Leben lang. Was für ein grauenvoll hoher Preis. Hysterisches Lachen kam in ihm auf, und er mußte sich auf die Lippen beißen, um es nicht herauszulassen.
    »Du wirst mir doch nicht ohnmächtig werden?« fragte Harry besorgt.
    Er schüttelte den Kopf.
    »Nimm’s leicht. Es ist ja kein Todesurteil. Du kannst trotzdem noch deinen Spaß haben.«
    Joe lächelte wehmütig. Harry nahm an, er teile seine Angst vor der Monogamie. Ach, Harry, dachte er, wenn’s doch nur so einfach wäre. Er wußte, daß er mit seiner neuen Position bei Peterson’s und dem Geld, das Tommy für sie ausgesetzt hatte, genügend Frauen haben könnte. Aber das zählte nicht. Die Frau, die er wollte, konnte er nicht haben.
    Er blickte auf die Reihen der Gesichter vor ihm. Er sah seine Eltern, seinen Bruder Jimmy, seine Schwestern Ellen und Cathy, alle in neuen Kleidern, die er für sie gekauft hatte. Sein Vater hatte die Lippen zusammengepreßt, seine Mutter begann immer wieder zu weinen, genauso wie sie es getan hatte, seitdem er ihr die Neuigkeit verkündet hatte. Er sah Leute, die er von der Arbeit kannte, wichtige Kunden von Tommy, Freunde und Verwandte von Millie. Für Tommys Maßstäbe eine kleine Versammlung, nur etwa hundert Gäste. Aber es war eine überstürzte Hochzeit, und die Zeit hatte nicht gereicht, etwas Größeres zu organisieren.
    Zuerst war Tommy wütend gewesen, als er von Millies Schwangerschaft erfuhr, aber dann hatte er sich beruhigt, als Joe ihm sagte, daß er seine Tochter heiraten wolle. Millie behauptete später, alles sei nur heiße Luft gewesen. Er sei glücklich, Joe als Schwiegersohn zu bekommen, wollte aber nach außen hin den zornigen Vater spielen.
    Ihre Schwangerschaft wurde ein offenes Geheimnis. Niemand war besonders schockiert, alle freuten sich für das hübsche Paar und daß Tommys Tochter und sein Protegé heirateten. Bald gäbe es einen Enkel mit demselben Verkaufstalent im Blut. Es sei eine großartige Verbindung, fanden die Leute.
    Plötzlich hörte Joe Orgelmusik. Die Gäste erhoben sich und sahen zur Eingangstür. Er folgte ihrem Blick. Ein Mädchen, das Blumen streute, kam herein, gefolgt von Millies Brautjungfer, danach Millie selbst am Arm ihres Vaters. In seinen Augen blitzte keine Freude auf, als er sie sah, nur Angst. Genausogut hätte er zusehen können, wie sein Henker auf ihn zukam. Sie trug ein elfenbeinfarbenes Taftkleid mit bauschigen Ärmeln, eine lange Schleppe, einen dichten Schleier und hielt einen riesigen Strauß weißer Lilien im Arm. Er fand, daß sie in ihrer weißen Hülle wie ein Gespenst aussah.
    Während der Zeremonie war er kaum bei Bewußtsein. Er sagte sein Gelöbnis, sie tauschten die Ringe, er küßte seine Angetraute auf die Wange und führte sie dann den Gang hinunter, um als Mr. und Mrs. Joseph Bristow die Glückwünsche der Gäste entgegenzunehmen. Ab und zu gelang ihm ein gequältes Lächeln. Alles war unwirklich, noch immer bewegte er sich durch einen Alptraum. Sicher würde er gleich aufwachen, sich schwitzend in seinen Laken hin und her werfen und erleichtert feststellen, daß alles vorbei war.
    Aber so kam es nicht. Gemeinsam mit Millie fuhr er in einer Kutsche zum Empfang im Claridge’s. Er durchlitt mehrere Tänze mit ihr, hob bei Trinksprüchen sein Glas, verzehrte sein Essen, küßte sie mechanisch und lächelte Leute an, die er nicht kannte. Einmal entwischte er

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