Die Teerose
einzuschlagen?
Davey steckte das Geld weg, bestellte ein Bier und stürzte es hinunter. Sofort bestellte er ein neues, um die nagende Stimme in sich abzutöten, die ihn immer wieder fragte, was wohl die Folgen der Zustellung sein mochten, die er gerade erledigt hatte.
Ich weiß es nicht und will es auch nicht wissen, dachte er. Es war bloß ein Botendienst, mehr nicht. Hatte nichts mit mir zu tun. Und außerdem war’s der letzte. Er hat gesagt, daß er fortgeht. Ich bin jetzt fertig mit ihm. Ich bin frei.
Frei? fragte die Stimme spöttisch. Du wirst nie frei sein, Davey. Du hast deine Seele verkauft. Für eine Handvoll Silberlinge. Wie Judas. Bloß daß Judas den Anstand hatte, sich aufzuhängen.
»Es ist bloß ein Brief«, murmelte er ärgerlich. »Um Himmels willen, laß mich in Frieden!«
»Was ist, Davey?« fragte der Wirt. »Noch eines?«
»Was? Nein. Tut mir leid, Pete. Ich führ Selbstgespräche.«
Der Wirt ging weg, um Gläser abzutrocknen. Davey sah sich im Spiegel hinter der Bar. Er war ausgemergelt und hohläugig, sein Gesicht von Falten durchzogen, das Haar ergraut. Dabei war er erst vierunddreißig.
Erschöpft rieb er sich das Gesicht. Er hatte Tage gebraucht, um Fiona Finnegan zu finden. Er hatte sie verfolgt. Zweimal von Oliver’s, dreimal von der Mincing Lane aus – und jedesmal die Kutsche im Verkehr aus den Augen verloren. Beim fünften Versuch hatte es endlich geklappt. Seinem Droschkenfahrer war es gelungen, bis Mayfair dicht hinter ihr zu bleiben. Er hatte gesehen, wie ihre Kutsche auf den Grosvenor Square einbog und sie ins Haus Nummer sechzehn trat. Und nachdem er ihre Adresse hatte, war er zu Bristow’s in Covent Garden gefahren. Dort mußte er nur noch rausfinden, wohin Bristow seine Schiffsladungen mit Tee geliefert bekam.
Er will ihr was antun, sagte seine innere Stimme. Das weißt du, nicht wahr?
Es ist nur ein Brief, sagte sich Davey wieder. Was soll denn daran schon schlimm sein?
Es ist ein Todesurteil. Das ist Blutgeld in deiner Tasche.
Ich hab’s für Lizzie getan. Alles, was ich getan hab, hab ich für Lizzie getan.
Hast du auch für Lizzie gemordet?
»Ich hab keinen umgebracht!« sagte er laut.
Du hast zugesehen, als er ihren Vater ermordete. Und jetzt tust du das gleiche wieder.
»Nein!« schrie er und schlug mit der Faust auf die Bar.
»Davey, Junge, was hast du denn?« fragte der Wirt.
»N-nichts, Pete. Das ist für mein Bier«, erwiderte er und warf eine Münze auf den Tresen. »Ich muß los.«
Davey verließ das Pub und fiel kurz darauf in Laufschritt. Die letzten zehn Jahre hatte er in dem Bewußtsein verbracht, an Paddy Finnegans Tod mitschuldig zu sein, und dieses Wissen hatte sein Gewissen zermartert. Er wollte nicht den Rest seines Lebens in dem Bewußtsein verbringen, Burton erneut bei einem Mord geholfen zu haben. Er rechnete sich nur eine geringe Chance aus – tatsächlich nur eine einzige –, um aufzuhalten, was er in Gang gesetzt hatte. Und die würde er nutzen.
Die Droschke fuhr langsamer, als sie sich der Ecke Southampton und Tavistock Street näherte. Davey warf dem Kutscher das Geld zu und war schon draußen, bevor der Wagen anhielt.
Der Absender auf dem Brief lautete »J. Bristow, Tavistock Street Nummer vier, Covent Garden.« Aber Bristow hatte den Brief nicht geschickt, und Davey mußte ihm sagen, wer es getan hatte. Vielleicht wußte er, was zu tun war.
Die paar Meter zu Nummer vier ging er zu Fuß. BRISTOWS COVENT-GARDEN-GROSSHANDEL, INHABER: JONATHAN UND JAMES BRISTOW stand auf dem Namensschild. Er drehte den Türknopf, aber die Tür war verschlossen. Er klopfte. »Mr. Bristow! Jemand da?« rief er. Aber niemand antwortete. Es war Samstag nachmittag, und die meisten Geschäfte hatten geschlossen, aber vielleicht gab es einen Pförtner oder Angestellten, jemand, der ihm sagen konnte, wo dieser Joe Bristow steckte. »Mr. Bristow!« rief er wieder.
»Mr. O’Neill«, sagte eine ruhige Stimme hinter ihm.
Davey fuhr herum und erwartete, William Burton hinter sich zu sehen, der ihn mit seinen schrecklichen schwarzen Augen anstarrte. Aber es war ein junger Bursche mit einer flachen Mütze und einem Halstuch. Er hatte eine schlimme Narbe am Kinn und war gebaut wie ein Bulle. Neben ihm stand noch einer.
»Würden Sie bitte mit uns kommen?« sagte der erste.
»Woher wißt ihr meinen Namen?« fragte Davey und wich zurück.
»Na komm schon, Davey«, sagte der zweite.
»Ich geh nirgendwo hin mit euch … ich muß zu Mr. Bristow«,
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