Die Terranauten 056 - Die Drachenhexen
sich am Bug des Floßes zusammengekauert und wachte über die wenigen Schätze, die ihre Ausrüstung noch zu bieten hatte. Asen-Ger hatte den Laser fest an sich gebunden, denn sein Verlust wäre gleichbedeutend mit ihrem Tod gewesen. Während sie durch ein wildschäumendes Gewirr spitzaufragender Felsen jagten und innerhalb von wenigen Sekunden naß wurden bis auf die Haut, wurde Nell nicht müde, sich unentwegt zu verfluchen. Schließlich meisterten sie auch diese Gefahr. Der Lari trug sie ruhig auf seinem Bett weiter und brachte sie in den späten Abendstunden erneut zu einer Insel.
Sie war jedoch als Lagerplatz nicht geeignet, denn Nell hatte kaum den ersten Fuß an Land gesetzt, als hinter ihr ein bösartiges Fauchen erklang.
»Eine Wildkatze!« schrie Narda und warf Nell ein Messer zu. Asen-Ger zückte den Laser, kam aber nicht zum Schuß, denn im gleichen Augenblick bildeten Nell und die Buschkatze, die auf irgendeine unbekannte Weise auf die Insel geraten war, ein unentwirrbares Knäuel. Nell gab keinen Laut von sich, sondern kämpfte stumm und verbissen um ihr Leben. Die Katze war zum Glück nicht sonderlich groß, aber dennoch bereitete es ihr die größten Schwierigkeiten, den mit scharfen Krallen versehenen Tatzen auszuweichen und in eine vorteilhaftere Position zu gelangen. Nells Messerklinge zerschnitt die Luft, und der gellende Schrei, den die Buschkatze ausstieß, zeigte ihr, daß sie ins Ziel gedrungen war. Der gewünschte Erfolg blieb jedoch aus. Die Bestie schien mehrere Leben zu haben.
Ehe Nell zu einem weiteren Stoß kam, flog ein dunkler Schatten über sie hinweg. Aus halbgeschlossenen Augen sah sie das zu allem entschlossene Gesicht des Mädchens Narda. Ein energetischer Sturm schien von ihr auszugehen. Nell hörte die Buschkatze kreischen, und es erschien ihr, als würden dünne blaue Feuerstrahlen die Dunkelheit erhellen und auf das Tier zurasen. Wie elektrisiert sprang die Bestie zurück und jagte mit eingezogenem Schweif in die Finsternis des Inseldickichts hinein.
»Alles in Ordnung, Nell?«
»Ich …« Nell stöhnte verhalten. Sie versuchte aufzustehen, aber es gelang ihr nicht. Die kräftigen Arme Asen-Gers hoben sie auf und trugen sie auf das Floß zurück. Sie hörte, wie er sich leise mit Narda unterhielt. Ihre Stimmen klangen besorgt.
Kurz darauf verlor Nell das Bewußtsein, und als sie wieder zu sich kam, war es heller Tag. Narda beugte sich über sie, kühlte ihre heiße Stirn mit einem nassen Tuch und flößte ihr aus einer kleinen braunen Flasche einen bitteren Saft ein. Nells Schulter brannte wie Feuer, aber man schien sie verbunden zu haben.
»Du hast Fieber, Nell. Sprich jetzt nicht. Du mußt dich gesundschlafen.«
Nell wollte etwas sagen. Sie wollte protestieren und ihre Begleiter zur Umkehr bewegen, aber ihre Zunge war wie gelähmt. Es wurde dunkel um sie, und als sie das nächste Mal die Augen aufschlug und die Sonne sah, wurde ihr klar, daß bereits wieder ein Tag vergangen war. Diesmal schaukelte der Boden unter ihr nicht. Sie befand sich also offensichtlich an Land.
Die Tatsache, daß sich jemand um sie kümmerte, beruhigte Nell ein wenig, und wenn es ihren Begleitern über mehrere Tage hinweg gelungen war, ohne die Hilfe ihrer Führerin zu überleben, hatte sie Asen-Ger und Narda zweifellos unterschätzt. Obwohl ihre Wunde immer noch schmerzte, schien das Fieber zurückgegangen zu sein. Die bleierne Müdigkeit, die Nells Körper erfaßt hatte, ließ sie kurz darauf wieder in einen tiefen Schlaf sinken.
Als sie die Augen zum drittenmal öffnete, fühlte sie sich unerwartet gesund und kräftig. Über ihr leuchteten die Sterne. Die Luft war kühl und angenehm, und irgendwo in nächster Nähe knisterte ein offenes Feuer.
Aber Nell starrte geradewegs in das totenschädelähnliche Gesicht Roley Anjaks – und das war keine Situation, in der man die Augen leichtfertig wieder schloß.
*
Die Versammlung der Patrouillenreiter war ohne große Probleme verlaufen. Man hatte die Rote Sonja erwartungsgemäß zur neuen Gruppenleiterin gewählt, und ihre erste Amtshandlung hatte darin bestanden, die Geister der anwesenden Delegierten zu einem Kollektiv zu verschmelzen und den über das ganze Land verstreuten Klans die Nachricht zukommen zu lassen, daß von nun an gegenüber den Eindringlingen besondere Vorsicht geboten sei. Die einzelnen Familien sollten sich darüber hinaus zusammensetzen und Pläne zur Aufstellung von Reservepatrouillen zur Sicherung des
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