Die Terranauten 081 - Treiber-Piraten
entwickelt gewesen. Die Beförderung von Stockwerk zu Stockwerk erfolgte damals noch mit Hilfe herkömmlicher Magnet-Aufzüge.
Deren Energiesystem hatte jedoch längst seine Funktionstüchtigkeit eingebüßt. So blieb Jeng-Jeng und seiner Truppe nichts anderes übrig, als den Weg über die Nottreppe zu nehmen.
Notgedrungen machten sich Ain Lavalle und die Männer an den mühsamen Aufstieg. Treppensteigen gehörte normalerweise wirklich nicht zu den Tätigkeiten von Menschen des sechsundzwanzigsten Jahrhunderts, aber es gab keine andere Möglichkeit, um nach oben zu kommen.
Fluchend und ächzend bewegte sich der Trupp vorwärts. Aber die Mühe lohnte sich. Etwa auf halbem Wege stieß Ain Lavalle einen überraschten Ruf aus.
»Ich kann das Mädchen plotten«, teilte sie den anderen mit. »Die Kleine befindet sich in unserer unmittelbaren Nähe. Und zwar … allein!«
Siri Lankard bestätigte es.
»Was denn«, wunderte sich Jeng-Jeng, »ich denke, sie steht oben auf der Dachplattform und wartet auf den Feuertod.«
»Die Dinge scheinen in der Zwischenzeit in Bewegung geraten zu sein«, sagte Siri Lankard.
»Und Sie haben nichts davon mitbekommen? Schöne Telepathen!«
Ain Lavalle und Siri Lankard verzichteten darauf, ihrem Anführer klarzumachen, daß selbst Treiber mit weit überdurchschnittlichem PSI-Potential keinen Dauerkontakt zu Personen aufrechterhalten konnten, die sich in größerer Entfernung befanden. Jeng-Jeng hätte für diese Erklärung doch nur eine höhnische Bemerkung übriggehabt.
Zwei Treppenpodeste höher fanden sie das Mädchen. Die Kleine kauerte am Boden in verkrümmter Haltung und mit einer leichten Blaufärbung im Gesicht. Es ging ihr sichtlich schlecht, so schlecht, daß sie von den Ankömmlingen kaum Notiz nahm.
Ain Lavalle stellte auf telepathischem Weg eine Diagnose: »Akute Etnon-Vergiftung!«
Jeng-Jeng hatte vorgesorgt und ein paar Nasenfilter als Reserve mitgebracht. Es bereitete keine Mühe, das Mädchen mit einem davon auszurüsten.
Schon binnen kürzester Zeit trat eine deutliche Besserung in ihrem Zustand ein. Das aus der Atemluft herausgefilterte Etnon konnte ihr nichts mehr anhaben.
Ain und Siri tasteten ihr Bewußtsein ab. Ein Schwall unterschiedlicher Empfindungen drang auf sie ein – eine starke Scheu vor den Fremden, die sie richtigerweise als »Söhne und Töchter« des Himmels identifizierte, aber auch ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit für die Rettung vor dem Erstickungstod.
Und noch etwas geisterte durch ihr Bewußtsein: Angst und Sorge. Angst und Sorge um einen jungen Burschen, der auf den Namen Thor hörte. Die Gedanken des Mädchens waren etwas wirr und unkontrolliert. Aber es kam doch durch, daß sie sich mit diesem jungen Burschen ganz besonders verbunden fühlte, weil er »wie sie war«.
Ain und Siri tauschten einen schnellen Blick. Sie dachten beide in identischen Bahnen.
Einer, der wie sie war – noch jemand mit latenten PSI-Fähigkeiten vielleicht?
Aus dem Chaos der zusammenhanglosen Gedankenfetzen war kein klares Bild zu gewinnen. Das würde erst möglich sein, wenn die Kleine Ordnung in ihr Bewußtsein brachte. Und das konnte man eigentlich nur erreichen, wenn man mit ihr sprach.
Ain Lavalle beugte sich über das Mädchen, das nach wie vor auf dem Boden kauerte. Den Namen – Jelina – hatte sie längst herausgefunden.
»Jelina, kannst du mich verstehen?« fragte sie und gab sich dabei Mühe, ihre Stimme so weich wie möglich klingen zu lassen, was ihr allerdings mehr schlecht als recht gelang.
»Ja, ich kann dich verstehen«, antwortete Jelina. Vor lauter Scheu sprach sie ganz leise, beinahe flüsternd.
Die Verständigung war in der Tat recht problemlos. Jelina sprach Terranisch, das zwar ein bißchen archaisch war, sich aber nicht wesentlich von dem heute gebräuchlichen Idiom unterschied.
»Wer ist Thor?« fragte Ain Lavalle weiter. »Ist auch er PSI-begabt wie du?«
»PSI-begabt?«
Natürlich, unter diesem Begriff konnte sich die Bewohnerin einer Welt wie Heinlein IV nichts vorstellen.
Ain Lavalle formulierte ihre Frage anders: »Kann auch Thor Dinge tun, die sonst nur du tun kannst?«
»O ja, auch in Thors Bewußtsein brennt das Licht der Erkenntnis«, antwortete Jelina fast eifrig. Und dann fügte sie drängend hinzu:
»Rettet auch ihn! Ihr habt die Macht dazu, denn die Himmelswächter werden alles tun, was ihr sagt.« Das Licht der Erkenntnis! Jelinas unterschwellige Gedankengänge, die mit diesem mystisch klingenden Ausdruck
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