Die Terranauten 087 - Labyrinth des Schreckens
empor. Eine feste Wand, ähnlich dem Faserholz der Duftstauden, die in manchen Breitspalten der Felswände wuchsen und betörende Träume schenkten, schnupperte man an den irisierenden Blüten. Die Traumstatt wies nur einen einzigen Zugang auf, ein dunkles Loch in der weiten Wand. Kadir blieb in gebührender Entfernung vor diesem Loch stehen und warf seine Tastarme empor. Der Träger löste seine Pseudopodien aus der Junghaut des Klippenstürzers, und Suven erwachte.
»Ehre dir, Suven!« rief Kadir und wandte sich zu der Prozession um, die nun zum Stillstand gekommen war. »Du bist der neunhundertvierundzwanzigste, dem die große Ehre zuteil wird, die Schöpfer zu erwecken zu versuchen.«
Suvens Fangkiefer schabten kratzend übereinander. War es Angst? Oder einfach Unruhe?
Das Summen des Windes verklang. Es war, als hielte selbst er den Atem an, ehrfurchtsvoll und demütig.
Suven bemerkte, daß er sich weiter verändert hatte. Er verfügte noch immer nicht über neue Sammelhäute, und jetzt, in seinem vierzigsten Neuleben, waren auch seine Semilungen geschädigt. Ein Klippenstürzer ohne Semilungen war wie ein instabiler Kontakter. Einfach unvorstellbar. Trauer entstand in ihm. Nie wieder würde er den Winden oben an den Felswänden trotzen. Nie wieder würde er den herrlichen Duft der Drihs- Schwärme schnuppern. Nie wieder die Freude des Langen Sturzes erleben. Er wandte den Kopf und sah in den dunklen Eingang zur Traumstatt. Vielleicht war das der beste Weg. Vielleicht war das die Lösung. Wenn es ihm gelang, die Schöpfer zu wecken, dann wurde ihm große Ehre zuteil. Dann war sein Ansehen wiederhergestellt. Er spürte noch immer den fremden Hauch in sich, das Flüstern, das seine Gedanken nur träge dahinrinnen ließ. Er verstand. Der Kontakter Kadir nahm seine Sorge und Unruhe und fütterte ihn mit Zuversicht.
Die Begleiterinnen stimmten erneut ihren sanften Gesang an. Voller Wehmut, voller Sehnsucht nach einer verlorengegangenen Welt. Dann hob Kadir wieder seine Tastarme und forderte Schweigen.
»Vor langer, langer Zeit«, begann er, und alle wiederholten seine rituellen Worte leise und flüsternd, »war die Welt ein Paradies, und unsere Vorfahren wandelten in ihr und labten sich an ihrer Schönheit und an ihren Schätzen. Es gab überall Felsklippen und Drihs -Schwärme, mehr, als ein Klippenstürzer zählen konnte. Es gab viele Horte, über die ganze Welt verteilt. Und die Schöpfer weilten unter uns und wachten über uns, auf daß uns kein Unheil zuteil wurde. Dann aber kam das große Unglück, und die Welt begann, sich zu verändern. Wüsten entstanden und breiteten sich aus. Die Drihs -Schwärme starben. Und es gab immer weniger Kontakter, die dazu in der Lage waren, die Schöpfer zu rufen und ihnen Bitten zu unterbreiten. Die Schöpfer aber fühlten sich daraufhin im Stich gelassen, und sie zogen sich in die Traumstatt zurück und begannen den Langen Schlaf.«
Eine weite Geste.
»Seht euch um. Dies ist die letzte Oase. Hier gibt es die letzten Drihs- Wolken. Aber auch diese Oase ist dem Untergang geweiht. Die Klippenstürzer haben Schwierigkeiten, noch genug Nahrung für die Verwerterinnen zu sammeln. Es gibt immer weniger Kontakter. Wir verändern uns, wie Suven sich verändert hat. Und bald wird eine Zeit kommen, da kein Kontakter mehr existiert. Diese Zeit wird der Augenblick des Endgültigen Todes sein, denn wir Kontakter sind es, die euch Leben schenken. Nur wir sind dazu in der Lage, zu den Schöpfern zu sprechen. Nur wir …«
Ein krächzender Laut unterbrach Kadirs Rede. Janan, ein anderer Kontakter, löste sich aus der Prozession und trat an Kadirs Seite. Kadirs Tastarme verfärbten sich purpurn, Zeichen seines Unmuts.
»Du unterbrichst die Zeremonie, Janan«, grollte Kadir. »Das ist Blasphemie.«
Janan verneinte mit einem Klicken seiner Langkiefer. Suven richtete sich neugierig auf. Seltsamerweise hatte sich der fremde Hauch nunmehr aus seinem Innern zurückgezogen, und Furcht machte sich dort breit, wo vorher Zuversicht gewesen war. Janan, der Ketzer, wie er oft genannt wurde. Er war stabil wie die anderen Kontakter, aber er teilte nicht ihre Meinung bezüglich der Schöpfer, und er beteiligte sich sogar am Nahrungssammeln und anderen Arbeiten. Ganz im Gegenteil zu Kadir und den anderen, die sich nur Nahrung bringen ließen und sich ansonsten der Meditation hingaben. Der Meditation, die den Kontakt zu den Schöpfern herstellen sollte, bisher aber immer erfolglos gewesen
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