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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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in dieser Ruinenlandschaft eine abgeschlossene Tür gibt?«
    »Weil jemand was zu verstecken hat?«
    Cyprian hob den Fuß, um die Tür einzutreten. Andrej packte ihn am Arm.
    »Schauen Sie«, sagte Cyprian. »Sie wollen herausfinden, was aus Ihren Eltern und aus Jarmilas Mutter geworden ist. Ich will nur das Buch. Sie glauben nicht mal, dass das Buch existiert. Meinen Sie, Sie finden dort drin irgendjemanden, der Ihnen die Antworten gibt, die Sie hören wollen?«
    »Meinen Sie, Sie finden das Buch?«
    »Ich kann zumindest alles auf den Kopf stellen.«
    »Sie werden mich nicht los. Ich gehe mit Ihnen hier rein.«
    Cyprian musterte ihn. Er dachte daran, dass Andrejs Vaterhier eingetreten und nie wieder herausgekommen war. Er versuchte sich vorzustellen, wie er sich fühlen würde, wenn es sich um seinen Vater gehandelt hätte. Er sah das Bild wieder vor sich, wie der Bäckermeister Khlesl ins Mehl flog und der weiße Staub explodierte und Cyprian ebenso erstickend einhüllte wie die unsägliche Wut auf den massigen Mann, der wie betäubt zwischen seinen Säcken lag. Ihm fiel ein, dass er nicht da gewesen war, als sein Vater starb; als er eintraf, hatte er nur noch einen erkaltenden Leichnam in seinem Bett vorgefunden. Er hatte überraschend klein und alt ausgesehen und eher so, als hätte ein ungeschickter Künstler versucht, Cyprians Vater in Wachs nachzubilden. Es war schwer, sich vorzustellen, dass dies der Mann war, den er so sehr geliebt hatte, dass die Liebe in Hass umgeschlagen war, als sie keine Erwiderung fand. Ja, er konnte Andrej verstehen.
    »Los jetzt«, sagte er. »Glauben Sie, ich will die ganze Arbeit allein machen?«
    Sie traten gemeinsam gegen die Tür. Sie flog auf und prallte an die Wand dahinter. Das Echo flatterte über die Trümmerlandschaft und in das Gebäude hinein, wo es erstickte. Andrej hielt sich an Cyprian fest und schüttelte sein Bein aus. »Verdammt«, knurrte er. »Das tut weh! Sie haben darin Übung, oder?«
    Cyprian erwiderte nichts. Er starrte in die Dunkelheit hinein, die sich vor ihnen auftat. In der Dunkelheit war Leben.
    »Gut«, sagte Andrej. »Gut. Sie sind immer noch Herr der Lage, oder?«
    »Keine Ahnung«, knurrte Cyprian. »Aufpassen, Kopf!«
    Es war zu spät. Das Obergeschoss des Baus war durchgesackt, und dass die heruntergebogenen, halb geborstenen Tragbalken die Last noch hielten, war eines von Gottes geringeren Wundern. Die Balken waren so gekrümmt, dass selbst der stämmige Cyprian den Kopf einziehen musste, um darunter hindurchzukommen. Der hoch aufgeschossene Andrej jedoch – Cyprian verdrehte die Augen, als der Aufprall durch den Gang dröhnte. Es hörte sich an, als habe Andrejs Dickschädel der Ruine den Rest gegeben; ein Knacken und Knistern lief durch das zerstörte Gebälk wie Mäusefüße, die nach allen Richtungen flüchten. Vielleicht waren es tatsächlich Mäuse, die um ihr Leben rannten; Cyprians und Andrejs stumme Begleiter jedenfalls huschten ebenfalls auseinander, ein Knäuel Spinnen, neben dem jemand mit dem Fuß aufgestampft hatte. Cyprian stand still und horchte dem Knacken hinterher, mit dem die Ruine sich weigerte einzustürzen.
    Die vermummten Gestalten krochen wieder näher heran. Andrej stöhnte und rieb sich die Stirn.
    »Hören Sie auf zu simulieren und kommen Sie weiter«, sagte Cyprian.
    »Haben Sie eine Ahnung, was die Kerle von uns wollen?«, ächzte Andrej.
    »Frühstück?«, schlug Cyprian vor.
    »Wir werden eingeladen?«
    »Nein, wir sind der erste Gang.«
    Andrej schwieg eine Weile. »Und was glauben Sie in Wirklichkeit?«
    »Sie wollen uns was zeigen.«
    »Ich denke nicht, dass ich es sehen will.«
    »Irgendwas stimmt hier nicht. Und damit meine ich nicht den Umstand, dass die armen Teufel hier zusammengetrieben worden sind, um lebendig zu verfaulen.« Cyprian versuchte die Finsternis mit Blicken zu durchdringen. Er war sicher, dass die Merkwürdigkeit, die er fühlte, den Rahmen dessen sprengte, der für die unseligen Erkrankten längst zur Normalität geworden war. Er dachte daran, was er draußen zu Andrej gesagt hatte: er hatte Angst gefühlt, Angst vor dem Ende. Auch an ein Leben wie dieses konnte man sich klammern, wenn man sonst keines hatte.
    Niemand hatte sie bedroht; niemand hatte sie zu etwas gezwungen; niemand hatte sie angesprochen. Die Mauer aus lebendig verfaulenden, verhüllten Leibern, die hinter der eingetretenen Tür gestanden hatte, hatte sich vor ihnen geteilt, hatte sie in ihre Mitte aufgenommen und sich

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