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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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der Wahnsinnige stürmte auf mich los. Es ist, als wäre es gestern gewesen.«
    »Schön«, sagte Cyprian. »Dann können Sie mir ja helfen, mich zurechtzufinden.«
    Andrej starrte ihn an. Cyprian seufzte.
    Selbst jemand, der mit allgemeiner Klosterarchitektur vertraut war, hätte es schwer gehabt, sich in dem Trümmerfeld zu orientieren. Es gab kaum eine freie Fläche; die Mauern schienen weniger eingesackt als übereinandergestürzt zu sein, Bruchkanten ragten in die Höhe, Quadersteine und Balken bildeten Tunnels. Fährten zogen sich darüber hinweg, helleStreifen im Grau, auf denen keine Flechten krochen und die davon zeugten, dass sich hier regelmäßig schlurfende Schritte entlangbewegten. Die Fährten verschwanden nicht selten in Höhlenöffnungen, als ob sie der Pfad zu einer Behausung wären.
    Das Kloster war nicht groß – in Wien gab es größere, von denen kein Mensch bewundernd sprach –, doch in seiner Verwüstung schien es sich in alle Richtungen auszudehnen und jeden Durchlass abzuwehren.
    Cyprian erinnerte sich an einen späten Januartag in seiner Heimatstadt, an dem nach hartem Frost plötzlich Tauwetter eingesetzt hatte: eine kleine Flut war herangerollt, hatte das Eis in der fast vollkommen zugefrorenen Wien gebrochen und die Schollen in der weiten Kurve beim Ochsengries aufeinandergetürmt. Die zackige Eislandschaft war mehrere Tage lang über die Kiesebene aufgeragt, so dass man meinen konnte, sie kletterte an der steilen Böschung dahinter in die Höhe. Auf dem Stubentor und der Braun-Bastei hatten sich die Leute gedrängt und gegafft; die Unternehmungslustigeren unter ihnen hatten sich in die wüsten Verwerfungen gewagt und waren darin herumgeklettert. Cyprian war selbstverständlich unter ihnen gewesen. Er erinnerte sich an die Trostlosigkeit, die er angesichts der übereinandergetürmten, zersplitterten, kantigen Eisschollen unter dem düsteren Januarhimmel empfunden hatte, obwohl die Stadt nur ein paar Steinwürfe weit entfernt lag. Im Schlagschatten der hohen Uferböschung, die die Mittagssonne abblockte, und unter den überhängenden Eisplatten hatte ihn ein eisiger Hauch angeweht; durch die Spalten, Durchlässe und Tunnel und über die schrundigen Gipfel war ein beständiger Wind gekrochen. Er spürte den Eishauch auch hier.
    Die Kirche ragte hinter der Verwüstung auf und machte den Anblick nur noch schlimmer mit ihrem bloßgelegten Dachgerippe und den zerfressenen Turmstümpfen. Zu ihr zugelangen, war fast unmöglich; der Trümmerhaufen, der direkt davor aufragte, war fast so hoch wie ein einstöckiges Haus. Andrej wies mit dem Kinn darauf.
    »Dort war der Eingang zum inneren Klosterbereich«, sagte er. Seine Stimme klang gereizt. »Ich hoffe, ich konnte Ihnen eine Hilfe sein.«
    Etwas scharrte, und sie duckten sich unwillkürlich hinter einen Mauerbrocken. Die abgerissene schwarze Gestalt mit dem Nicht-Gesicht konnte noch nicht wieder von ihrem Gang um das Kloster herum zurück sein; sie hatten gewartet, bis sie um die entfernte Ecke des ehemaligen Klosterbereichs herumgekrochen war, bevor sie sich auf den Weg gemacht hatten. Dennoch sahen sich beide nach ihr um. Das Scharren kam jedoch von irgendwo dort vorn, wo die vielen Fährten über das Gestein führten. Dann sahen sie den Trümmerstein, der sich ruckartig vorwärtsbewegte. Cyprian hatte das Gefühl, dass ihm die Realität abhandenkam. Er kniff die Augen zusammen.
    »Wahrscheinlich nimmt man die Farbe des Staubs an, wenn man lange genug hier gewesen ist«, sagte Andrej.
    Der Trümmerstein war eine weitere zerfledderte Gestalt, gebeugt, rundrückig, in sich selbst zusammengekrümmt und von graubraunen Fetzen bedeckt, die sich nicht vom Hintergrund abhoben. Sie beobachteten, wie sie mit quälender Langsamkeit in eine Höhlenöffnung kroch und sich in der Dunkelheit darunter auflöste. Cyprian wandte sich ab und betrachtete Andrej.
    »Mit Ihrer Kleidung sind Sie hier genauso unauffällig wie eine Spinne auf einem Quarkkuchen«, sagte er.
    »Sie müssten sich auch erst eine halbe Stunde im Dreck wälzen, um denen hier ähnlich zu sehen«, versetzte Andrej. »Sie tragen zwar Schwarz, aber ein Schwarz, das leuchtet, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    Cyprian ignorierte Andrejs Feindseligkeit. Er richtete sichauf und balancierte über die Brocken. Die Geräusche sagten ihm, dass Andrej ihm folgte.
    »Da – werfen wir die Decken über«, sagte Cyprian und deutete auf ein kleines Bündel neben einem Höhleneingang.
    »Sind Sie

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