Die Teufelsbibel
sicher, Knaben sind die reinsten Gotteskinder! – verführt haben. Alles, was es noch geben wird, ist Musik und die Glockentöne des wunderbarsten Gesangs. Gehe hin in Frieden, mein Sohn. Gott sei mit dir.«
Der Bittsteller wankte an Pater Hernando vorbei, ein grauhaariger, gebeugter Mann mit unrasierten Wangen, von dem der Straßengeruch einer langen Reise ausging und der noch Stiefel und Mantel trug. Hernando sah die Tränen in den Augen des Mannes glitzern; er stolperte nach draußen, ohne einen anderen Menschen anzublicken. Pater Hernando schluckte. Als er aufsah, traf sein Blick auf das erwartungsvoll-freundliche Gesicht des Papstes und die gleichmütigen Mienen der Priester links und rechts von ihm. Er war an der Reihe.
Er hatte sich genau zurechtgelegt, was er sagen würde. Er hatte in seiner Zelle geprobt, flüsternd und gestikulierend, jedes Wort auf die Goldwaage legend. Er war davon ausgegangen, dass ihm nur wenig Zeit zur Verfügung stehen würde und dass er würde zu Ende erzählen müssen, was er dem Papst mitteilen wollte, bevor dessen Berater ihn unterbrechen oder den Heiligen Vater ablenken konnten. Er hatte Papst Clemens, als er noch Ippolito Kardinal Aldobrandini gewesen war, bei der einen oder anderen Gelegenheit beobachtet und aus seiner Schweigsamkeit, seinen ruhigen Gesten und seinen langen, unverwandten Blicken geschlossen, einen vernünftigen, gelassenen Mann vor sich zu haben. Er hatte nicht gewusst, dass die Schweigsamkeit daher kam, dass Kardinal Aldobrandini keine Ahnung hatte, was das Gesprächsthema war, die Gelassenheit daher stammte, dass er es nicht einmal gehört hätte, wenn die anderen um ihn herum auf seinenNamen Spottlieder gegrölt hätten; und dass die ruhigen, langen Blicke lediglich bedeuteten, dass Seine Eminenz sich fragte, ob der andere Kardinal, den er gerade anschaute, zu ihm sprach oder nur mit der Zunge einen Fleischfetzen aus den Zähnen herauszupulen versuchte. Entschuldigen Sie, Eminenz, haben Sie gerade was gesagt? – Nein, Eminenz, ich kaue nur.
Die Bibel, Heiliger Vater, hatte er sagen wollen, ist das Buch, auf dem der Bestand unseres Glaubens ruht. Darf ich den Heiligen Vater auf ein Buch aufmerksam machen, das der Untergang unseres Glaubens sein wird?
O ja, das hätte Papst Clemens wachgerüttelt – wenigstens in der Theorie. Die Praxis, wie sie sich nun innerhalb weniger Sekundenbruchteile als zweites Gesicht vor Pater Hernandos innerem Auge abspielte, sah dagegen anders aus.
Äh?
Ein Buch, Heiliger Vater!
Ah ja, du hast von der Neuausgabe des Index Librorum Prohibitorum erfahren, mein Sohn. Wir freuen Uns, dass ein aufrechter Bruder des heiligen Dominikus Uns bei der Arbeit der Neuauflage unterstützen will.
Nein, Heiliger Vater, ich meine ein ganz bestimmtes Buch –
Genau, mein Sohn, der Index der verbotenen Bücher. Es kann nie zu viele davon geben, nicht wahr?
Das meine ich, Heiliger Vater, und daher möchte ich –
Exakt. Unser Privatsekretär wird dir einen Platz im Archiv zuweisen, mein Sohn. Wir sehen, dass du es kaum erwarten kannst, in die Katakomben hinunterzusteigen. Der Herr sei mit dir.
Pater Hernando zitterte. Seit er seinen Entschluss gefasst hatte, war es ihm nie so klar gewesen, dass er ganz allein war. Von seinem früheren Leben, von seinen früheren Gefährten hatte er sich durch die Todsünden losgesagt, die er begangen hatte, und vor seinen neuen Gefährten und deren Plänen graute es ihm, seit ihm aufgegangen war, wozu sie ihn missbraucht hatten. Er hatte sie auf Pater Xavier gebracht. Es war seine Schuld. Er hatte ihnen das Werkzeug verschafft, mit dem sie das Buch des Teufels der Vergessenheit entreißen und es über die Menschheit bringen konnten. Mea culpa, mea maxima culpa . Es gab niemanden, der ihm ein Ego te absolvo ins Ohr flüstern konnte, weil es niemanden gab, der ihm vergeben würde.
Das freundliche Lächeln des Papstes hatte sich noch nicht einmal in eine erstaunte Miene gewandelt. Pater Hernando stand stocksteif auf seinem Platz, anstatt vorzutreten. Dann fuhr der Dominikaner herum, senkte den Kopf und eilte an der langen Reihe der Bittsteller, die hinter ihm standen, vorbei nach draußen.
11
Andrej blieb stehen , als sie durch den Mauerdurchbruch neben dem Tor geklettert waren.
»Ich glaube, ich kann das nicht«, sagte er leise.
»Reißen Sie sich zusammen«, sagte Cyprian.
»Ich sehe es alles vor mir, wie es damals war … der Torbau hier … der freie Klostervorhof … Dort stand ich, und
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