Die Teufelsbibel
doch.«
»Und sie war katholisch?«
Sie schwieg. In ihren Augen schimmerte plötzlich Unruhe. Andrejs Herz krampfte sich zusammen. Er hatte in diesen Augen nichts anderes sehen wollen als Liebe, und dies seinganzes restliches Leben lang, und plötzlich lag Misstrauen darin und ein Spur von Härte, die ihm völlig unbekannt war.
»Also deine Mutter war auf keinen Fall eine französische Hugenottin«, sagte Andrej. Er hatte sich zwingen müssen, es auszusprechen. Von hier gab es kein Zurück mehr.
Sie nahm ihre Hand weg. »Worauf willst du hinaus?«
»Ich habe keine Spur von Markéta And ĕ l gefunden; nichts zum Anfassen und auch keine Geschichte. Ebenso wenig wie ich eine Geschichte von einer Gruppe böhmischer Adelsfrauen gehört habe, die mit einer Mission der Barmherzigkeit in der Gegend herumgezogen wären.«
»Mit wem hättest du dort in Podlaschitz auch darüber reden sollen?«, sagte sie. Klang ihre Stimme verächtlich?
»Ich habe mit jemandem gesprochen, Jarka. Ich habe mit einer Frau gesprochen, die ihr ganzes Leben in der Gegend verbracht hat, und sie hat mir versichert, dass dort niemals eine Gruppe von Frauen hingekommen ist wie die, als deren Anführerin du deine Mutter beschrieben hast.«
»Vielleicht war meine Mutter ja woanders.«
»Was es allerdings gibt, ist die Geschichte von einer Gruppe von Flüchtlingen, Frauen und Kinder aus Frankreich, Hugenotten, die vor den Massakern in der Folge der Pariser Bluthochzeit geflohen und bis hierher an unser Ende der Welt gelangt sind.«
Jarka sagte nichts. Dafür sprachen ihre Hände. Sie umklammerten einander mit weißen Knöcheln.
»Ich habe diese Frauen und Kinder gesehen«, sagte Andrej. Er konnte nicht verhindern, dass seine Stimme schwankte. »Ich habe gesehen, wie sie unter den Axthieben des Wahnsinnigen gefallen sind. Meine Mutter war unter ihnen. Die Geschichte, die du mir erzählt hast, ist wahr, Jarka. Sie hat nur einen Schönheitsfehler.«
»Ach«, sagte sie, aber er konnte hören, dass sie sich ebenso dazu zwingen musste wie er.
»Du hast mir meine eigene Geschichte erzählt, Jarka. Du hast mir alles erzählt, was ich selbst wusste, und kein bisschen mehr. Ich wusste nichts von französischen Flüchtlingen, also wusstest du es auch nicht. Ich habe nur Frauen und Kinder gesehen. Du hast mir die Geschichte erzählt, die ich Seiner Majestät erzählt habe, und sie ein bisschen ausgeschmückt.«
Jarka ballte die Fäuste. Sie sah ihn unentwegt an. Ihre Augen waren jetzt feucht, aber sie liefen nicht über. Er wusste mittlerweile, wie nahe am Wasser sie gebaut war. Dass sie die Tränen jetzt unterdrückte, machte ihn gleichzeitig traurig und erfüllte ihn mit Schrecken.
»Ich könnte jetzt fragen: von wem hast du die Geschichte gehört, die ich eigentlich nur dem Kaiser erzählt habe? Aber ich habe sie ihm so oft erzählt, dass ich annehme, genügend Leute haben ein Ohr an die Tür gedrückt und gelauscht. Ich könnte dich auch fragen, in wessen Auftrag du handelst, aber ich will gar nicht wissen, ob der fiese Oberstlandrichter oder der fette Rozmberka dahinterstecken oder irgendein anderer von den zahlreichen Neidern, die mich hassen. Aber was ich doch fragen muss, –«
»Tu es nicht«, sagte sie. »Frag nicht.«
»– warum hast du es getan, und –?«
»Bitte.«
»– ist unsere Liebe eine genauso große Lüge wie die Geschichte mit deiner Mutter?«
»Herr vergib mir«, flüsterte sie und begann nun doch zu weinen. Andrejs Kehle schmerzte, als würde jemand sie zudrücken.
» Ich möchte dir vergeben, Jarka. Aber ich möchte verstehen.«
»Geh, Andrej. Geh. Er wird dich nicht weiter verfolgen. Du hast deine Schuldigkeit getan.«
»Was?«
»Geh. Du kannst mir nicht helfen. Du kannst nur dir selbst helfen.«
»Erzähl es mir, Jarka!«
»Geh.«
»Ich denke nicht dran.«
Plötzlich sprang sie auf. Andrej erschrak und schob seinen Stuhl unwillkürlich nach hinten. Jarka stützte sich auf den Tisch und beugte sich zu ihm herüber. Ihre Wangen glühten, und aus ihren Augen liefen die Tränen wie das Blut aus zwei Wunden.
»Geh!«, zischte sie. »Du willst verstehen? Gut! Ich helfe dir zu verstehen. Alles war eine Lüge. Die Geschichte mit meiner Mutter, die Geschichte mit meiner Großtante, selbst mein Name ist eine Lüge! Und unsere Liebe ist die allergrößte Lüge von allen. Ich liebe dich nicht. Ich habe dich nie geliebt; und was du liebst, ist eine erfundene Person, die es nie gegeben hat. Sie ist aus den Nebelschatten
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