Die Teufelsbibel
Tontöpfen waren Gewürzproben, und selbst wennes sich nur um kleine Mengen handelte, waren sie doch wertvoll genug, dass jemand versucht sein könnte, sich mit ihnen aus dem Staub zu machen. Sie musterte die Gasse; wenige Passanten, die eher auf dem Weg hindurch schienen, als dort etwas erledigen zu wollen. Ein magerer Bursche, struppig wie ein Köter und betrunken wie zwei Dutzend Landsknechte, stolperte langsam und mit vielen Unterbrechungen vom Flussufer heran, offenbar ein Hilfsarbeiter, dessen Dienste in Bechern Wein bezahlt worden waren oder der die paar lumpigen Münzen sofort wieder in den Prager Schankkreislauf investiert hatte. Sie blickte zu dem Jungen hinüber. Er sah sie an und nickte. Die Gelegenheit war da. Sie hielt den Atem an und nickte zurück –. Doch im gleichen Augenblick kam die Magd wieder aus der Tür, im Schlepptau einen kleinen, dunklen Mann. Eine Gruppe von Müßiggängern schob sich zwischen Yolanta und die drei, und als sie wieder freie Sicht hatte, standen sie bereits dicht beieinander und unterhielten sich. Der Junge hatte jetzt keinerlei Chance mehr, ungesehen an Agnes heranzukommen. Sie warf ihm erneut einen Blick zu; er war bereits wieder mit der Hauswand verschmolzen und regte sich nicht.
Yolanta sah den Mann den Kopf schütteln. Agnes redete heftig auf ihn ein. Der Mann schüttelte den Kopf erneut. Die Magd versuchte ihr Glück. Was immer sie kaufen oder verkaufen wollten, der Mann war nicht an einem Handel interessiert. Sie konnte ihn kaum erkennen, nur sein dunkel glänzendes, öliges Haar und dass er irgendein Bündel in den Händen trug. Sie hatten ihn offenbar bei etwas gestört, und er war nicht glücklich darüber. Er wandte sich an den Burschen, der auf seine Gewürzproben aufpasste, und dieser schoss eilfertig in die Höhe, legte Wecken und Wurst auf den Klapptisch und war bereit, seinem Herrn zur Verfügung zu stehen. Die Wurst rollte über eine abschüssige Partie des Klapptischs und fiel auf den Boden.
Dann, unvermittelt, brach das Chaos über den Gewürzstand herein. Es kam in Gestalt des struppigen Betrunkenen und eines nicht minder struppigen Straßenköters, über dessen Betrunkenheitszustand keine Aussage gemacht werden konnte. Außer ihrem äußeren Erscheinungsbild hatten beide noch eine weitere Gemeinsamkeit: einen Bärenhunger; und ein gemeinsames Ziel: die Wurst. Sie war schwer und fett und fiel zu Boden wie ein Sack, rollte in die nächste Spalte des Flusssteinpflasters und blieb dort liegen.
Der Hund schoss von irgendwoher heran und sauste zwischen den Beinen der Fußgänger hindurch wie ein Blitz. Der Betrunkene war weniger behände, hatte aber einen Vorsprung, weil er mehr oder weniger schon direkt vor dem Gewürzstand angekommen war und sich nur noch zu bücken brauchte. Als seine Finger sich um die Wurst schlossen, schlossen die Zähne des Hundes sich um seine Finger.
Der Schwung des Hundes riss den Betrunkenen mit sich. Er blieb auf den Beinen, aber er vollführte eine unfreiwillige Pirouette, einen Arm ausgestreckt, an seinem Ende Hund und Wurst als Schwungmasse. Als er die erste Drehung vollendet hatte, war der Schmerz offenbar in seinem Gehirn angekommen. Er stierte auf das, was vorher noch seine Hand mit einer viel versprechenden Zwischenmahlzeit darin gewesen war und sich nun in einen verhungerten kleinen Köter verwandelt hatte, der mit geschlossenem Kiefer jappte und knurrte. Der Schreck leitete die zweite Drehung ein, diesmal mit einem Ziel: den Hund abzuschütteln. Der Hund ließ sich nicht abschütteln. Die Beine des Betrunkenen kamen durcheinander. Zweite Drehung beendet – und ein Klappern ertönte, von dem Gewürztopf verursacht, den der Körper des Hundes von der Tischplatte wischte. Einer der taumelnden Füße trat auf den Topf, der den Sturz überstanden, dieser Attacke aber nichts entgegenzusetzen hatte. Gelbes Pulver wolkte auf.
»Heee!«, brüllte der Aufpasser.
Der Hund wog nicht viel, vermutlich weniger als die Wurst, und er schien beschlossen zu haben, den Kampf um Wurst und Hand als Sieger zu beenden oder dabei heroisch unterzugehen. Der ergebnislosen Drehung folgte ein Schütteln. Die Ohren des Hundes flogen. Die Kiefer saßen fest. Der Betrunkene holte mit der freien Hand aus und hieb dem Hund die Faust auf den Schädel.
»Aaaaoooooh!«
Das Schnappen, mit dem die Zähne des Hundes noch weiter in die Hand des Betrunkenen getrieben wurden, konnte Yolanta nicht hören, aber sie wusste, dass es zu hören gewesen sein
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