Die Teufelsbibel
zu halten.
Agnes’ Augen weiteten sich, als wäre es tatsächlich möglich, Gedanken und Gefühle über Blicke zu transportieren.
Dann war der dunkle Mann heran, nach exotischen Gewürzen duftend und das Haar rot und gelb bepudert. Er nahm Agnes das Kind aus dem Arm und wiegte es hin und her. »Ay, niño, ay niño«, verstand Yolanta. Das Kind begann herzhaft zu brüllen, nun in Sicherheit in den Armen des Vaters.
»Wer sind Sie?«, flüsterte Agnes.
»Retten Sie sich«, hörte sich Yolanta sagen. »Der Teufel hat die Hand nach Ihnen ausgestreckt.«
26
»Was würden Sie an meiner Stelle tun?«, fragte Agnes. Sie stand am Fenster ihres Zimmers und sah auf den im Abenddämmer zerfließenden Platz hinaus. Der Käfig über dem Brunnen war ein verwirrend geometrisches Gebilde inmitten des schwindenden Lichts.
Yolanta schnaubte. Nach ihrem Treffen vor dem Laden von Boaventura Fernandes hatte Agnes die junge Frau einfach mit zu sich nach Hause genommen – einerseits, weil dies allem Anschein nach keine Unterhaltung für die Öffentlichkeit einer Gasse werden würde, andererseits, weil Agnes sich auf so merkwürdige Art zu Yolanta hingezogen fühlte, dass sie wünschte, mehr über sie zu erfahren.
Sie hatte mehr über sie erfahren; sie hatte Dinge gehört, die sie niemals hatte hören wollen und die ihr Herz in eine kalte Klammer der Furcht zwängten.
»Ich an Ihrer Stelle«, sagte Yolanta, »würde ein scharfes Messer in jede Faust nehmen und noch ein weiteres zwischen die Zähne und mich unter dem Bett verkriechen und jedem, der daruntergreifen will, die Finger amputieren.«
»So schlimm?«, flüsterte Agnes.
»Sie haben die Aufmerksamkeit eines Ungeheuers erregt.«
»Ich kenne dieses Ungeheuer. Mein Vater denkt, es wäre sein Freund.«
»Ihr Vater denkt falsch.«
Agnes schüttelte den Kopf.
»Vorher war mir bange«, sagte sie. Sie drehte sich um und musterte die zierliche junge Frau, die auf einer ihrer Truhen saß. Als sie vorhin nebeneinander gestanden hatten, hatte Yolanta Agnes nur bis unters Kinn gereicht. »Jetzt habe ich so richtig Angst.«
»Ich gestehe, die habe ich auch.«
Die beiden Frauen musterten sich.
»Ich frage mich, warum mich dieses Geständnis beruhigen soll«, sagte Agnes.
Yolanta lächelte schwach. »Ich wollte Sie nicht beruhigen, ich wollte meine Last mit Ihnen teilen.«
»Geht’s Ihnen jetzt besser?«
»Nicht wesentlich.«
Sie sahen sich weiterhin an. Agnes merkte, dass Yolantas Lächeln sich auf ihrem eigenen Gesicht widerspiegelte.
»Sie haben da was im Haar«, sagte Yolanta.
Agnes fasste sich in die Haare und schnupperte dann an ihrer Hand. »Gelbwurz«, sagte sie. Sie versuchte ein aberwitziges Kichern zu unterdrücken. »Wenn man schon Jagd auf mich macht, dann hinterlasse ich wenigstens eine angenehme Fährte.«
»Nicht so einen Schweißgeruch wie die Männer.« Yolantas Mundwinkel zuckten.
»Die Männer können gar nichts richtig machen«, sagte Agnes. »Sie sind nicht mal eine stilvoll duftende Beute.«
Beide platzten heraus, albern kichernd und gleichzeitig die Hand vor den Mund schlagend. In ihre Augen stiegen Tränen, aber es waren keine Lachtränen, so wie auch das Gegacker eigentlich nichts mit Lachen zu tun hatte. Schließlich beruhigten sie sich. Einen lähmenden Augenblick lang sah Agnes eine solche nackte Angst in den Zügen Yolantas, Angst um ihr Kind, Angst um Andrej, Angst um ihre Liebe, dass es ihr das Herz abdrückte. Bevor sie sich versah, streckte sie die Hand aus, und Yolanta griff danach. »Ich hätte Sie gern vor einem Jahr kennen gelernt«, flüsterte sie.
»Sie haben nicht viel versäumt.«
»Warum haben mich alle, denen wir hier im Haus begegnet sind, so freundlich gegrüßt?«
»Mein Vater, sein Partner Sebastian und mein Verlobter? Ich denke, sie haben geglaubt, Sie sind die Schneiderin.«
»Die Schneiderin?«
»Für das Hochzeitskleid.«
»Ich dachte, Sie wollen Ihren Verlobten auf keinen Fall heiraten?«
»Ja, aber ich habe sie gestern Abend vom Gegenteil überzeugt, damit ich mich frei draußen bewegen kann – Hochzeitsvorbereitungen und so.«
Yolanta lächelte erneut. »Sie haben Ihre gesamte Familie angelogen?«
Agnes nickte. Sie machte ein ernstes Gesicht. Dann grinste sie. »Und es hat mir Spaß gemacht!«
»Wenn ich die Kraft gehabt hätte, meine Eltern anzulügen, wäre ich jetzt mit meinem Kind zusammen.«
Agnes’ Lächeln verschwand spurlos. Es hatte gutgetan, ein paar Augenblicke lang die Gegenwart zu
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