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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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musste. Der Betrunkene vollführte eine Art Moriskentanz, mit einem auf und ab fliegenden Hund als interessante Variante.
    »HAU AB!«, brüllte der Aufpasser. Sein Herr stand wie erstarrt neben den beiden Frauen.
    Der Betrunkene drosch Hand und Hund von unten gegen die Tischplatte. Sie bestand aus drei Segmenten; das äußerste davon schnellte in die Höhe und katapultierte die darauf stehenden Gewürztöpfe gegen die Hauswand, wo sie rote Staubflecken und den Gegenwert mehrerer Tagelöhne hinterließen.
    »Madre de Dios!« Der dunkle Mann drückte das Bündel, das er gehalten hatte, Agnes in die Hand und sprang auf den Betrunkenen zu. Dieser fuhr herum, der Beginn einer dritten Pirouette und der Anfang vom Ende des Hundes – am Ende der Bewegung würde er ihn aufs Pflaster schmettern, und das hielt nicht einmal ein Prager Straßenköter aus. Doch der Herr des Gewürzladens, der dunkle Mann mit dem öligen Haar, kam irgendwie dem Schwung in die Quere.
    Der Hund klatschte dem dunklen Mann ins Gesicht, eine Ohrfeige mit einem Lumpensack voller Flöhe. Er stolperte rückwärts. Der Betrunkene stolperte mit. Der Hund zappelte. Der Herr des Gewürzladens sah, wohin ihn sein Stolpern bringen würde – zum linken der beiden verbliebenen Tischsegmente –, und versuchte sich am Betrunkenen festzuhalten. Statt standzuhalten flog der Betrunkene dem dunklen Mann in die Arme. Dann kam jenes Tausendstel eines Augenblicks, an dem alles im Gleichgewicht scheint und jede Entwicklung möglich ist, bis Schwerkraft und Momentum sich durchsetzten und die Skulptur aus zwei Männern und einem Hund graziös auf die Tischplatte fiel.
    Die Platte schnappte hoch wie ein Katapult. Zwei Gewürztöpfe schossen senkrecht in die Höhe, ein dritter flog zwischen dem Aufpasser und den beiden Frauen hindurch, einen Kometenschweif aus getrockneten Kräutern nachziehend. Der Besitzer des Gewürzladens und der Betrunkene schnappten nach Luft, starrten gemeinsam nach oben. Dann warfen sie sich in entgegengesetzte Richtungen auseinander, und die hochgeschnellten Gewürztöpfe prallten neben ihren Köpfen auf den Boden und zersplitterten in wohlriechende Scherben. Stille – das Klappern des dritten Gewürztopfs, der irgendwo landete – das Geräusch, das entsteht, wenn sich fest verbissene Zähne aus einem Handgelenk lösen – und das hektische Wetzen von Hundekrallen über Straßenpflaster, als der Hund – unverletzt – mit seiner tapfer erstrittenen Beute stiften ging.
    Der dunkle Mann sprang auf. Er zerrte den Betrunkenen auf die Füße. Der Betrunkene hielt sein Handgelenk und jammerte. Der dunkle Mann trat ihn in den Hintern, dass er davonschoss, vage in Richtung des geflohenen Hundes. Erstes Gelächter ertönte. Der stehen gebliebene Überrest des Tischs gab ein trauriges Ächzen von sich und kippte langsam seitwärts, verstreute die letzten Gewürzproben auf den Boden und klappte dann zusammen –
    – und Yolanta erkannte überrascht, dass der Junge bereits Agnes’ Börse von ihrem Gürtel gerissen hatte und auf sie zurannte.
    Sie hätte die Börse niemals erwischt, wenn der Junge sie ihr nicht förmlich in die Hand gedrückt hätte. Dann schlug ereinen Haken und verschwand in der nächsten Gasse. Heute Abend würde er mit ein paar Kumpanen vor Yolantas Haus auftauchen, die Steine wurfbereit, falls sich der Handel als Betrug herausstellen sollte. Yolanta riss sich zusammen und eilte auf Agnes zu, die wie vom Donner gerührt dastand und dem Jungen nachblickte. Sie trug das Stoffbündel, das der dunkle Mann ihr übergeben hatte, noch immer auf den Armen.
    »Keine Sorge, ich hab sie ihm abgejagt«, begann Yolanta und prallte dann wie gegen eine Mauer. Das Bündel in Agnes’ Armen bewegte sich und krähte. Es war ein Kind.
    Sie standen keine fünf Schritte voneinander entfernt. Ihre Augen trafen sich über das Kind hinweg. Was immer Yolanta noch hatte sagen wollen, blieb ungesagt. Unbewusst hatte sie sich selbst mit Agnes gleichgesetzt, hatte versucht, eine geistige Verbindung mit der Frau herzustellen, die sie einen halben Tag lang beobachtet hatte, weil sie wusste, dass sie ein gemeinsames Schicksal teilten: Pater Xaviers kühles, mörderisches Interesse.
    Agnes mit einem Kind im Arm zu sehen versetzte Yolanta einen Schock. Ihre Hand mit der erbeuteten Börse sank herab. In diesem Augenblick waren sie Gefährtinnen, Verbündete, Schwestern, war Agnes das Ziel, das Yolanta antrieb: wieder ein Kind im Arm zu halten, ihr Kind im Arm

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