Die Teufelshure
als sonst in der Stadt bei Strafe verboten war, seine Scheiße direkt auf die Straße zu kippen.
»Morgen ist Sonntag. Vielleicht hast du am Nachmittag ein wenig Zeit und leistest mir in meinem Haus zum Fünf-Uhr-Tee Gesellschaft? Ich möchte mich gerne erkenntlich zeigen für das, was du für mich getan hast.«
John sah überrascht auf. Hatte er richtig gehört? Mit fassungsloser Miene hielt er die Karte in Händen. Dann machte er eine hilflose Handbewegung, bevor er den Beweis ihrer Zuneigung unbeholfen in seine traditionelle Felltasche stopfte, die er immer an seinem Gürtel trug. »Ich habe doch nichts getan, was nicht jeder andere anständige Mann auch getan hätte«, erwiderte er.
»Wenn du keinen Dank möchtest, könnten wir unser unverhofftes Wiedersehen feiern.«
Ihr Blick erschien ihm so bittend, dass er nicht zu widerstehen vermochte. »Wirst du kommen?«
Er nickte wie betäubt, aber bevor er etwas erwidern konnte, stürmte ein Mann in vornehmer schwarzer Kleidung mit einem schwarzen Hut und einem weißen Kragen die Treppe hinauf. Der Unbekannte war mindestens sechzig, vielleicht auch älter. Sein Gesicht unter der grauen, schulterlangen Lockenperücke erschien hager, aber nicht faltig. Geschmeidig wie ein Raubtier näherte er sich dem Bett, und nichts erinnerte dabei an die steifen und schmerzerfüllten Bewegungen gewöhnlicher Greise. Sein düsterer Blick wirkte stechend und wach. Kaum dass er John wahrgenommen hatte, zog er die scharf geschwungenen Brauen zusammen. Etwas Satanisches lag in seinem Gesichtsausdruck. John lief unvermittelt ein kalter Schauer über den Rücken.
»Darling?« Die Stimme des Mannes klang respektlos und besitzergreifend, als er sich Madlen mit herrischer Miene näherte. »Was in Gottes Namen tust du hier? Noch dazu in Gesellschaft eines Fremden?«
Ruth, die alte Dienerin, kam hinter dem Mann die Treppe hinaufgehetzt. »Es tut mir leid, Mylord«, rief sie atemlos und ging dabei unterwürfig in die Knie, den Kopf reumütig gebeugt. »Ich habe die Herrin nur einen Moment lang alleine gelassen, um Euch Bericht zu erstatten. Es ist nichts geschehen, was nicht hätte geschehen dürfen.«
Madlen überging den peinlichen Moment, indem sie ein bezauberndes Lächeln aufsetzte. »Ihr könnt ganz beruhigt sein, Chester. Ich befinde mich in bester Obhut.« Sie machte eine galante Geste mit ihrer Rechten in Johns Richtung, der unmerklich einen Schritt von ihrem Bett zurückgetreten war. »Darf ich Euch meinen Retter vorstellen? Das ist John Cameron. Wir kennen uns bereits seit Kindertagen«, erklärte sie mit aufgeregter Stimme, wobei sie für Johns Verständnis eindeutig schwindelte. Von kennen konnte wohl kaum die Rede sein. Offenbar nahm sie es im Übrigen mit der Wahrheit nicht so genau, denn auch ihre Aussage, dass sie vor niemandem Rechenschaft ablegen musste, stimmte anscheinend nicht. Wie sonst war es zu erklären, dass sie Johns Anwesenheit vor dem unvermittelten Besucher so hartnäckig zu rechtfertigen versuchte? Zudem war John aufgefallen, dass der merkwürdige Kerl offenbar von ihr eine unterwürfige Haltung verlangte.
»John war es, der mich in meiner Ohnmacht die Stufen zu diesem Zimmer hinaufgetragen hat«, berichtete sie atemlos weiter. »Ist das nicht eine wunderbare Fügung? Ich konnte ihn unmöglich gehen lassen, ohne ihm meinen ausdrücklichen Dank auszusprechen.«
Madlens Stimme war unnatürlich hoch, wie die eines aufgeregten Kindes, und ihre Augen flackerten unsicher, als ob sie den Mann besänftigen wollte. Ihr Gegenüber taxierte John mit zusammengekniffenen Lidern und einem nervösen Zucken in den Mundwinkeln.
»John«, fuhr sie atemlos fort, »das ist Lord Chester Cuninghame, mein persönlicher Beschützer und Gönner, ohne den ich in dieser entsetzlichen Stadt nicht bestehen könnte.«
John schwieg, obwohl er allergrößte Mühe hatte, nicht Nase und Mund aufzureißen, so sehr schockierte ihn diese Neuigkeit. Cuninghame – also war
sie
die Teufelshure, wie Paddy sie schmählich bezeichnet hatte, für die Stratton angeblich sein Leben ließ.
John verbeugte sich, wobei er seinen Hut wie ein Schutzschild vor die Brust hielt. Der Eisklumpen, den er augenblicklich in seinem Magen verspürte, ließ ihm gleichzeitig das Herz erkalten. Madlens Lächeln wirkte unterdessen gequält bei dem vergeblichen Versuch, Johns starre Miene zu erheitern.
»Ich werde dann wohl besser mal gehen«, erklärte er mit verhaltener Stimme. »Farewell, Mylady.« Er verbeugte
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