Die Teufelshure
Pferd, setzte sich der Tross in Bewegung.
Madlen hatte Strattons Leichnam aus den Augenwinkeln heraus an dem langen, hohen Balken baumeln sehen, doch sie hatte darauf verzichtet, ihn genauer zu betrachten, und deshalb traf es sie wie ein Schock, als sie aus dem Kutschenfenster hinausschaute und ihre Aufmerksamkeit eher zufällig auf sein lebloses Gesicht fiel. Es schien, als ob ihr Strattons gebrochene Augen einen unmissverständlich anklagenden Blick zuwarfen. Sollte sie sich schuldig fühlen? Nein, schließlich war nicht sie es gewesen, die ihn in ihr Bett gelockt hatte, sondern Chester Cuninghame – mit der schändlichen Absicht, ihr von Stratton ein Kind zeugen zu lassen, weil er selbst angeblich nicht dazu in der Lage war. Die Summe, mit der er diesen widerwärtigen Galan animiert hatte, ihr die Unschuld zu rauben, war so horrend gewesen, dass man davon der Stadt ein neues Armenhaus hätte spenden können. Dass Stratton letztendlich seine Übereinkunft mit Cuninghame nicht hatte einhalten können, hatte auch nicht an der mangelnden Entlohnung gelegen, sondern daran, dass seine Manneskraft im entscheidenden Moment versagt hatte. Daraufhin hatte er mit erschlafftem Glied vor Madlen gestanden und sie als Hexe beschimpft. Ihr panischer Blick trage Schuld daran, dass ihm sein Schwanz nicht gehorche. Doch das war des Übels nicht genug gewesen. Stratton hatte offensichtlich Nachforschungen betrieben, nachdem Cuninghame das Geld von ihm zurückgefordert hatte. Dabei war es dem hochnäsigen Lebemann anscheinend gelungen, ein Geheimnis zu lüften, das den schwarzen Lord, wie Cuninghame oft genannt wurde, arg in die Bredouille brachte. Danach hatte Stratton von Cuninghame eine noch höhere Summe gefordert, um sein Schweigen zu erkaufen. Was genau Stratton so sicher gemacht hatte, zu bekommen, was er wollte, wusste Madlen nicht – nur eins wusste sie genau: dass Cuninghame nicht mit sich spaßen ließ.
»Du hast etwas verpasst, meine Teuerste.« Cuninghames Stimme war so düster wie seine Kleidung und drückte seine Genugtuung über Strattons grausamen Tod aus. Der windige Sohn einer verarmten Aristokratenfamilie hatte ihn zu hintergehen versucht, etwas, das er, der allseits geschätzte Lord Chester Cuninghame of Berwick upon Tweed, auf keinen Fall zulassen durfte. Zumal Stratton sein Vertrauen schändlich missbraucht hatte. Niemals wieder würde er einen Außenstehenden einer geheimen, alchimistischen Verwandlung unterziehen und ihn anschließend laufen lassen, ohne das Initiationsritual »Caput mortuum« vollendet zu haben. Nur wenn der Adept in einer Art hypnotischen Umwandlung Geist und Seele dem allumfassenden Meister Mercurius verschrieben hatte, befand er sich unter der Kontrolle der Bruderschaft. Ein unerlässlicher Umstand, weil nur so sichergestellt werden konnte, dass sich der Betroffene der Bruderschaft gegenüber loyal verhielt und eisern über seine Erlebnisse während der Umwandlung und über seine neu erworbenen Fähigkeiten schwieg. Bei Stratton hatte Cuninghame leider versäumt, aufs Ganze zu gehen, weil der Adlige Madlen ein Kind zeugen sollte. Cuninghames eigene leidvolle Erfahrung, dass eine vollständige Initiation in den meisten Fällen zur Impotenz führte, hatte den Ausschlag gegeben, bei Stratton darauf zu verzichten. Warum Stratton auch ohne das »Caput mortuum« bei Madlen versagt hatte, war nun nicht mehr herauszufinden. Zur Sicherheit hat Cuninghame dafür gesorgt, dass der Henker Stratton nach dem Hängen das Herz herausschnitt. Eine reine Vorsichtsmaßnahme. Keinesfalls durfte er riskieren, dass Stratton von den Toten wiederauferstand – was wegen des Ritus durchaus möglich gewesen wäre, solange man ihm nicht den Kopf oder das Herz entfernte.
Cuninghame warf einen Seitenblick auf Madlen, die ahnungslos neben ihm saß. Vielleicht war es ein dummer Gedanke gewesen, ausgerechnet Stratton in die Experimente mit einzubeziehen. Aber früher oder später musste er wissen, ob ein Mann, an dem der geheime Ritus zur Hälfte vollzogen worden war, in der Lage sein würde, einer gesunden Jungfrau ein mythisches Kind zu zeugen. Ein Wesen, das von Geburt an bereits alles in sich trug, was ein normaler Mensch nur durch die höheren Weihen empfangen konnte.
Madlen vermied es, ihn anzusehen. Sie wusste nicht, um was es bei all dem ging, und glaubte wie jeder andere auch, dass Stratton wegen seiner unglücklichen politischen Allianzen gestorben war. Natürlich hatte sie ihm nicht verziehen, dass
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