Die Teufelshure
Anschließend schlich er zum Kamin.
»Was hast du vor?«, murmelte Dough.
»Ich werde hinabsteigen und sehen, was da unten vor sich geht.«
John starrte wie gebannt auf den heiligen Stein, den »Lapis Philosophorum«, wie Mercurius ihn nannte. Das satanische Oberhaupt der Panaceaer hatte das kostbare Artefakt in einem beschwörenden Akt der goldenen Pyramide entnommen und wandte sich nun seinem Opfer zu. Regungslos beobachtete John, wie Mercurius den Stein in einer Halterung direkt über seiner Stirn justierte. Wenn John ehrlich sein sollte, hatte er auf einen strahlenden Kristall gewartet, und es enttäuschte ihn ziemlich, dass es sich bei dem lang ersehnten Objekt lediglich um einen faustgroßen, mit Löchern durchzogenen Brocken handelte. Trotzdem konnte er sofort die respekteinflößende Kraft spüren, die von dem unscheinbaren Objekt ausging. Augenblicklich vernebelte es ihm die Sinne, als der metallische Arm heruntergefahren wurde und die Spitze des Steins seine Stirn berührte. Mercurius stellte sich hinter John und erhob seine Arme. Mit geschlossenen Augen begann er eine Beschwörungsformel zu raunen.
»Stein der Weisen, ohnegleichen,
lass den Geist der Macht entweichen,
mach ihn rein und mach ihn klar,
nimm ihm alles, was er war,
lass mich seine Macht erneuern
und ihn mit reinem Geist befeuern,
lass ihn unser Diener sein
und damit auf ewig mein.«
In Johns Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander. Es gab nichts mehr, woran er sich festhalten konnte. Ein heller Schmerz durchzuckte seinen Schädel. In Panik riss er an den Halterungen, mit denen man ihn auf dem Bett fixiert hatte. Sein ganzer Körper bäumte sich auf, und sein Hals schwoll an, während ihm der metallische Ring den Atem nahm und dafür sorgte, dass sein Körper in eine Art Notfallmodus schaltete, als ob er sich unter Wasser befände.
Mercurius stand noch immer über ihm, und John spürte, wie er sich einer Schlange gleich seiner Seele bemächtigte.
»Adieu, John Cameron!«, verkündete Mercurius laut und ließ ein hallendes Gelächter folgen.
»Pòg mo thòin … Küss meinen Arsch! …«, presste John mit geschlossenen Lidern hervor.
Geschmeidig wie eine Katze hatte sich Wilbur in den Kamin gezwängt und mit Schrecken gesehen, dass Johns »Caput Mortuum« schon begonnen hatte. Selbst Paddy rührte sich nicht, um den Spuk zu beenden. Nachdem Wilbur wieder nach oben geklettert war, machte er sich augenblicklich an seiner Munitionstasche zu schaffen, die er am Gürtel trug.
Lilian verfolgte jede seiner Bewegungen mit aufgerissenen Augen. »Sag schon«, flüsterte sie ängstlich. »Was ist da unten los?« Von Ferne hatte sie Johns Unruhe spüren können, doch jetzt fühlte sie gar nichts mehr, es war, als ob er gestorben wäre.
Wilbur antwortete nicht. Hektisch nahm er einen kleinen zylinderförmigen Behälter zur Hand und drückte den Deckel mit seinem Daumen ein, damit sich die verschiedenen darin enthaltenen Flüssigkeiten vermischten. »Flüssigsprengstoff«, murmelte Dough und zog Lilian instinktiv von ihm weg. »Willst du uns umbringen?«
Wilbur wusste offenbar, was er tat. Mit einem Handzeichen forderte er Dough auf, mit den Frauen zur Tür zu gehen. Er ließ den Behälter in den Kaminschacht fallen und ging dann selbst in Deckung.
Sekunden später folgte ein ohrenbetäubender Knall und riss den Kamin und das halbe Zimmer mit in die Tiefe.
Einen Moment lang herrschte gespenstische Stille. Die Druckwelle hatte sämtliche Fackeln gelöscht. Wilbur sah auch im Dunkeln, seine Augen funktionierten wie Restlichtverstärker. Spielend überwand er die zwei Meter fünfzig Tiefe, die ihn vom Boden des unter ihm liegenden Stockwerks trennten, mit einem eleganten Sprung. In der allgemeinen Verwirrung, die unter den immer noch herabfallenden Trümmern herrschte, galt sein erster Gedanke John.
Dough hatte den Wachen im Kerker zwei Pistolen und Magazine abgenommen. Eine davon hatte er Wilbur gegeben. Mit vier gezielten Schüssen befreite Wilbur John von seinen Fesseln. Paddy hatte als Erster die neue Situation erkannt und sich der Claymores bemächtigt. Mit zwei gewaltigen Schlägen löste er Ruaraidh, David und Malcolm von ihren Ketten und warf ihnen die Schwerter zu. Im Nu hatten sie begriffen, dass Paddy sehr wohl auf ihrer Seite stand. Rasch sprangen sie auf die Füße, um die Panaceaer gemeinsam mit ihm anzugreifen. Unter den Würdenträgern der Bruderschaft herrschte ein heilloses Durcheinander. Die meisten von
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