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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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keinen Fingerbreit gerührt hatte, wandte plötzlich den Kopf in Richtung der Brise. Kaum dreißig Sekunden später vernahm auch ich ein leises Plätschern.
    Atan warf mir einen Blick zu und erhob sich federnd. Ich zog mich an einem Ast hoch, wobei ich mir von der Hüfte an abwärts wie gelähmt vorkam. Mit weit ausholenden Schritten und vollkommen lautlos ging Atan zum Ufer. Ich stolperte hinter ihm her, die Böschung entlang, und sah einen schwarzen Schatten über das Wasser gleiten. Atan hockte sich nieder und pfiff leise. Vom Boot her erklang der gleiche Pfiff. Langsam näherte sich die »Ghawa«
    dem Ufer. Diese Boote bestanden aus einem Flechtwerk aus zähen, elastischen Ästen, welche fest zusammengeschnürt und mit vier aneinandergenähten Yakhäuten überspannt waren. Die Nähte waren mit Kohlenteerwasser dicht gemacht worden. Ein Holzring trug das Bootsgerippe und diente gleichzeitig als Rand. Eine »Ghawa«
    konnte zehn Personen tragen und auf den Rücken eines einzigen Trägers geladen werden. Der Bootsmann saß auf einem dünnen Brett, und zwar so, daß er das Fahrwasser flußabwärts überblicken konnte. Das Ruder war eine Art Holzgabel, zwischen deren Zinken ein Stück Leder befestigt war. Wenn die Boote längere Zeit im Wasser gelegen waren, mußten sie an der Luft getrocknet werden.
    Geräuschlos stieß das Boot an die Böschung. Wir wateten über die glatten, schlüpfrigen Steine. Der faulige Geruch des Wassers stieg mir in die Nase. Die Nässe gurgelte um meine Bergschuhe. Die
    »Ghawa« drehte ein wenig ab, aber mit einem Ruderschlag legte sie der Bootsmann seitwärts, und sie rührte sich nicht mehr. Der Mann streckte mir die Hand aus; ich ergriff sie und stieg in das Boot. Atan kletterte hinter mir hinein. Im fahlen Licht erblickte ich einen kleinen Mann, gedrungen und kräftig, mit einer Haut wie glänzend gegerbtes Leder. Er hatte ein breites Grinsen und blitzend weiße Zähne. Er nickte mir freundlich zu, bevor er mit Atan zu flüstern begann. Er hielt mit der rechten Hand das Ruder, während er die 447
    Finger der linken Hand in der Zeichensprache der Khampas bewegte.
    Atan wandte sich mir zu.
    »Die Wachen wurden kürzlich verdoppelt. Sie fürchten Sabotage.
    Und nachts lassen sie Hunde frei.«
    Ich dachte, das fehlte auch noch. Ich war nicht mit der Angst vor Hunden geboren worden, bloß hatte ich nie einen Hund gehabt und wußte nicht, wie man mit ihnen umgehen sollte. Und Wachhunde sind gefährlich. Atan war mein Gesichtsausdruck nicht entgangen.
    Seine Lippen kräuselten sich, als sei er belustigt.
    »Konchok sagt, es sind Jurtenhunde. Mit denen werde ich fertig.«
    Na, das werden wir ja sehen, dachte ich schicksalsergeben.
    Inzwischen setzte die »Ghawa« ab; die geschmeidigen Bootswände bogen sich unter dem Druck der Wellen, und ich hatte das unangenehme Gefühl, viel zu nahe beim eiskalten Wasser zu sein.
    Der Fluß bedeckte große Sandbänke, die wie fahle Flecken schimmerten, aber Konchok schien sie alle zu kennen. Er bewegte fast geräuschlos das Ruder; das Boot kam nur langsam gegen die Strömung an. Eine Felswand reckte ihren schwarzen Rand hoch über diesen Teil des Flusses empor. Ich sah beunruhigt hinauf. Nicht ein einziger vorspringender Stein, nicht ein Spalt, an dem man sich hochziehen konnte. Allmählich senkte sich der Felsen. Der Fluß machte eine Biegung; jenseits der Klippen lag eine kleine Ausbuchtung, und bald hatten wir sie erreicht. Im lockeren Geröll war eine Stange mit Gebetsfahnen aufgepflanzt, die still in der Dunkelheit hingen. Konchok warf ein Haltetau aus, das sich um einen Stein legte. Er blickte zu Atan hinüber, wobei er ein paarmal die Finger bewegte. Atan nickte mir zu.
    »Er wird hier auf uns warten.«
    Das Boot berührte fast das steinige Ufer, so daß wir an Land steigen konnten. Es zeigte sich, daß hier die Felswand eine Bresche bildete, an der sich hochklettern ließ. Weit über uns in der Dunkelheit ragte ein Hochspannungsmast. In der Bucht hatten die Arbeiter Abfall gelagert: Flaschen, verrostete Dosen, Lumpen und Plastik. Wir kletterten die Böschung empor, duckten uns im Schatten des Hochspannungsmastes. Von hier aus konnten wir das Gelände überblicken. Auf dem Schornstein und dem Dach des Turbinenhauses blinkten kleine Lichter. Die Bagger waren schon in einer Reihe aufgestellt. Im fahlen Licht der Scheinwerfer kamen ein paar Männer aus einem Bau. Ich zählte; es waren achtzehn Leute.
    Sie gingen auf ein langes, niedriges Gebäude zu,

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