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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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gespitzt.
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    Das andere war komplizierter. Immerhin habe ich den Mann gefunden, den ich suchte. Er heißt Konchok. Er ist Bootsmann und hat uns schon ein paarmal geholfen. Er wird mich heute nacht über den Fluß rudern.«
    Ich holte tief Luft. Ich konnte mich nicht erinnern, ein einziges Mal in meinem Leben leichtsinnig gewesen zu sein. Aber ich mußte es sagen.
    »Ich komme mit.«
    Er wandte mir das Gesicht zu.
    »Ausgeschlossen. Du weißt nicht, was du da redest.«
    Ich antwortete ziemlich heftig:
    »Ich weiß genau, was ich rede. Chodonla war meine Schwester, und bisher habe ich nicht einen Finger für sie gerührt! «
    »Ich habe Chodonla ein Versprechen gegeben. Du nicht.«
    »Du setzt dein Leben aufs Spiel, und ich soll die Pferde hüten?«
    »Du kennst die Chinesen nicht.«
    »Wir werden ihnen schon entgehen«, sagte ich.
    »Du bist nicht sehr einsichtig, Tara.«
    »Ich habe einen tibetischen Dickschädel.«
    »Du riskierst viel dabei.«
    »Hör zu, da ist ein kleines Mädchen. Das ist etwas anderes, als eine Brücke in die Luft zu jagen. Eine Frau kann ein Kind beruhigen und zwar so, daß es keinen Lärm macht. Meinst du nicht auch, Atan?«
    Sein Lächeln blitzte auf.
    »Ich gebe ungern zu, daß du recht hast. Ein Mann wird unbeholfen, wenn er eine Waffe trägt und ein Kind aus dem Schlaf holen muß.«
    »Du wirst allmählich vernünftig.«
    Sein Lächeln verschwand.
    »Ich wollte dich nicht in diese Sache reinziehen.«
    »Ich stecke schon drin. Bis über beide Ohren. Das ist es ja eben, Atan. Du tust es für Chodonla. Ich auch. Mein Vater hat das alles vorhergesehen. Soll ich mich vor ihm schämen müssen?«
    Er starrte vor sich hin, und der Blick aus seinen verengten Augen wanderte weit fort wie seine schweifenden Gedanken. Er seufzte.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Alles gemeinsam«, sagte ich. »Versprochen?«
    Er sagte dumpf:
    »Ich habe Angst um dich.«
    »Und ich um dich. Versprochen?« wiederholte ich.
    Im roten Schein der Sonne wandte er mir das Gesicht zu. Unsere 444
    Augen trafen sich. Er nickte fast kaum merklich.
    »Versprochen.«
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56. Kapitel

    W ir kauerten im Buschwerk, neben den angepflockten Pferden, und warteten auf das Boot. Scheinwerfer erleuchteten das Kraftwerk, der kreideweiße Boden schimmerte wie Salz. An einer Stelle wurde in Nachtschicht gearbeitet; der Lärm der Preßlufthammer dröhnte über den Fluß. Die Nacht war kalt und würde noch kälter werden.
    Ich trug meine Daunenjacke. Atan hatte seinen Fellmantel hochgeschnürt und mit dem Ledergürtel fest verknotet. Er erklärte mir den Grundriß des Lagers, indem er mit einem Stock in den Sand zeichnete.
    »Ich werde vorausgehen. Bleib immer hinter mir im Schatten. Zu den Unterkünften der Ingenieure führen Stufen, mit Holz verstärkt.
    Paß auf, daß du nicht stolperst. Sun Li wohnt im zweiten Haus von links. Um elf Uhr ist Schichtwechsel. Die Nachtwächter gehen in die Kantine. Wir haben eine halbe Stunde.«
    »Und wenn Sun Li um Hilfe ruft?«
    »Er wird kaum Gelegenheit dazu haben.«
    Atan zog gelassen eine Pistole hervor, die er unter seinem Mantel in einem Schulterhalfter trug.
    Ich schluckte.
    »Atan… «
    »Ich habe sie in Nepal erstanden.«
    »Trägst du die immer mit dir herum?«
    »Seitdem ich mit dir reise, in der Satteltasche. Mit ein paar anderen Kleinigkeiten. Ich wollte dir keine Angst machen.«
    »Ich bin kein Angsthase.«
    Er grinste plötzlich.
    »Solche Schießeisen gehen schnell los.«
    »Und machen Lärm.«
    »Dieses trifft nicht immer sehr genau. Dafür knallt es nur leise. Es hat einen Schalldämpfer.«
    Mir wurde es plötzlich flau im Magen.
    »Atan, du willst ihn doch wohl nicht umbringen?«
    »Wenn es geht, werde ich es vermeiden.«
    Dann schwiegen wir wieder. Ich war schon in besserer Verfassung gewesen. Immer wieder liefen Schauer durch meinen Körper, und meine Füße zuckten. Wind und Wasser waren voller merkwürdiger Geräusche. Oder waren es bereits die Wachtposten, die uns 446
    anschlichen? Eine Frau durfte nicht so nervös werden, daß sie anfing, Gespenster zu hören. Ich steckte meine Hände mit den gefütterten Fäustlingen in die Taschen der Daunenjacke und versuchte mir einzureden, daß ich warme Finger hatte. Atan saß völlig reglos da, lauschte mit gespannten Sinnen in die Nacht. Die leisen und undeutlichen Eindrücke für Auge und Ohr, die zu ihm heraufdrangen, sagten ihm viele Dinge, für die ich blind und taub war. Zeit verging. Endlos, wie mir schien.
    Atan, der sich bisher

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