Die Tiefen deines Herzens
etwas noch nie erlebt. Jede Faser meines Körpers schien nur eines zu wollen: Marc. Immer nur Marc.
Oh Gott, durchfuhr es mich, das ist wirklich Liebe.
Als das Lied zu Ende war, blieben wir einen Moment regungslos stehen. So eng, dass ich seinen Herzschlag spürte. Er legte seine Hand unter mein Kinn, hob es leicht an und dann küsste er mich. Er hörte nicht auf, einfach nicht mehr auf und alles um mich herum verschwamm in einem aufgewühlten Meer von Sehnsucht und Leidenschaft.
S chön ist, was man sieht,
schöner, was man träumt.
(Aus Flandern)
19
Das Haus war kalt, roch leicht modrig und am liebsten hätte ich es nicht betreten.
Natürlich war ich froh, endlich dem engen Hotelzimmer entkommen zu sein, doch das hier war bestimmt keine gute Alternative.
»Na, was sagst du?« Marc strahlte mich erwartungsvoll an.
»Was wollen wir hier?«, fragte ich entgeistert.
»Wohnen!«, lautete seine knappe Antwort.
Ich schüttelte den Kopf. »Das ist ein Scherz, oder?«
Wir waren heute Morgen direkt nach dem Frühstück aufgebrochen und fast zwei Stunden gefahren. In einem Auto, das Marc sich von irgendeinem Andrew geliehen hatte, der es angeblich längere Zeit nicht brauchte, da er für einige Semester irgendwo im Ausland studierte. »Lass dich überraschen«, war das Wenige gewesen, das ich aus Marc herausbekommen hatte, als ich mich nach unserem Ziel erkundigt hatte. Und dass wir vorerst in einem Haus wohnen würden. Einem Haus, das Henry gehört hatte, Marcs Freund, der vor über einem Jahr bei dem Boxunfall gestorben war. Er hatte es kurz vor seinem Tod von seiner Oma geerbt und es eigentlich verkaufen wollen. Doch dazu war es nicht mehr gekommen.
Kein Wunder, dachte ich nun und stellte meinen Rucksack auf dem schäbigen Dielenboden ab. Ich hätte an seiner Stelle auch nicht in dieser gottverlassenen Gegend leben wollen …
Das Haus lag völlig einsam am Ende eines holprigen Feldwegs, nur von Wiesen und Wäldern umgeben. Nicht einmal eine Straße befand sich in unmittelbarer Nähe, geschweige denn andere Häuser. Der letzte Supermarkt, an dem wir vorbeigefahren waren, musste eine gute halbe Stunde entfernt sein.
»Jetzt wirkt es vielleicht noch ein wenig unfreundlich«, riss Marc mich aus meinen Gedanken, »aber warte nur ab, bis ich es etwas wohnlicher gemacht habe. Wenn dann noch ein Feuer im Kamin brennt, möchtest du hier nie wieder weg. Du wirst sehen!« Er machte die Fensterläden auf, um das fahle Sonnenlicht hereinzulassen.
Ich sah mich um, atmete tief durch und fragte dann noch einmal: »Sagst du mir jetzt bitte, warum wir hier sind? Ich meine, das ist doch nicht dein Ernst, dass wir hier wohnen sollen!«
Marc wandte sich zu mir um. »Warum nicht? Das Haus ist super. Und außerdem, hier findet uns garantiert keiner.«
»Aber wir können uns doch nicht ewig in dieser Einöde verstecken«, widersprach ich.
Marc seufzte genervt, kam zu mir und schloss mich in die Arme. »Warum denn nicht, Leni? Sieh mal, hier haben wir alles. Gemütliche Stunden vorm Kaminfeuer, lange Waldspaziergänge. Was will man mehr? Und nur eine knappe Autostunde entfernt liegt ein Boxstall. Ich könnte wieder trainieren und meine Karriere fortsetzen …«
Ich schob ihn ruckartig von mir. »Ich dachte, du wolltest nie wieder boxen?!«
»Das war ja auch nur eine Idee!«, stöhnte er genervt. »Von irgendetwas müssen wir schließlich leben. Oder hast du einen besseren Vorschlag, wie ich uns beide durchbringen soll?« Schlagartig war seine gute Laune verpufft. Da war wieder der verkniffene Zug um seinen Mund, der mir nun schon des Öfteren bei ihm aufgefallen war. Sein Blick war abweisend, verständnislos. Er begann, im Zimmer auf und ab zu gehen.
»Hast du etwa gedacht, wir könnten ewig in London bleiben?«, fragte er mich und fuchtelte mit den Händen in der Luft herum. »Es ist doch nur eine Frage der Zeit, wann Jamie, Clara und deine Eltern dort auftauchen würden. Denkst du, ich mache das alles zum Spaß? Alles, was ich tue, wirklich alles, tue ich nur für dich! Damit es dir gut geht! Damit wir zusammen sein können! Wann kriegst du das endlich in deinen Kopf?!« Seine Stimme war mit jedem Wort lauter geworden.
Ein Schauer überlief mich. Es gefiel mir nicht, wie Marc sich da in Rage redete. Konnte er denn nicht verstehen, wie schwer das alles für mich war?
»Jetzt reg dich doch nicht gleich so auf«, versuchte ich, ihn zu beruhigen. »Du hast mich einfach total überrumpelt. Mit all dem hier«, ich zeigte um mich,
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