Die Tiefen deines Herzens
»hatte ich nun mal nicht gerechnet. Aber wir kriegen das schon irgendwie hin. Ich weiß doch, wie viel du für mich tust.« Ich ergriff seine Hand.
Marc umfasste sie mit kräftigem Griff und schloss kurz die Augen, so als ob er sich sammeln müsste. Als er mich wieder ansah, war sein Blick ganz warm.
»Du hast recht. Wir kriegen das schon hin. Zusammen schaffen wir das.« Er hatte seinen Kopf an mich gelehnt und sog den Duft meiner Haare tief ein. »Und wenn du erst einmal volljährig bist, dann ist es doch sowieso egal. Dann kann uns keiner mehr etwas vorschreiben.«
Das Blut gefror mir in den Adern.
»Du willst ein Jahr lang mit mir in diesem Haus bleiben?« Ich war völlig baff. »Marc, jetzt mal ehrlich.« Ich stockte, fuhr mir durchs Haar und sah ihn eindringlich an. »Du verarschst mich doch?! Das ist ein Joke, ich meine … das kann unmöglich dein Ernst sein! Soll ich mich hier etwa ein Jahr lang verkriechen?«
Marc hatte die Stirn gerunzelt und musterte mich. Schließlich formte sein Mund ein schmales Lächeln.
»Ach, Leni, du Süße, stell doch nicht immer so viele Fragen.« Er strich mir sanft über die Wange. »Vertrau mir einfach mal. Ich vertraue dir ja auch. Oder habe ich dich nur ein einziges Mal gefragt, was zwischen dir und diesem Felix gelaufen ist?«
Ich schüttelte den Kopf, wollte etwas erwidern, ihm klarmachen, dass das etwas anderes sei, doch er ließ mich nicht zu Wort kommen. »Meinst du, ich bin doof und habe nicht längst kapiert, dass du mit deinen Gedanken ständig bei diesem Typen bist?«
Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Wie konnte er das denken?
»Nein, so ist das nicht«, brachte ich hervor und hatte das Gefühl, unter seinem Blick zu schrumpfen. Gleichzeitig war ich total sauer auf ihn. Wie konnte er nur so etwas behaupten? Wie kam er bloß darauf? Wäre ich sonst hier bei ihm?
Auf einmal zog Marc mich in die Arme. »Es tut mir leid. Ich habe es nicht so gemeint. Ich bin so glücklich, dass du bei mir bist. Ich … ich will das einfach nicht verderben. Diesmal nicht, hörst du? Ich liebe dich doch.«
Ich wusste nicht, was meinen Rücken mehr versteifen ließ, seine Worte oder der Tonfall, in dem er sie sprach, so flehentlich und dennoch mahnend, dass mir ganz mulmig wurde.
Behutsam löste ich mich aus seiner Umarmung. »Dann lass uns zurück in die Stadt fahren. Bitte! Du wolltest mir doch noch mehr von London zeigen. Hast du das schon vergessen?«, versuchte ich, die angespannte Stimmung zwischen uns aufzulockern.
Er ging nicht darauf ein, schaute mich nur an – lauernd, kalt, und ich meinte, auch ein wenig Sorge in seinen dunklen Augen zu entdecken.
»Wir waren noch gar nicht in deinem Lieblingsclub und außerdem, da muss ich mich jetzt doch mal als Touri outen, ich möchte unbedingt noch die Wachablösung am Buckingham Palace sehen. Und einmal im London Eye sitzen.«
»Schon gut, Leni«, lenkte Marc tief seufzend ein. »Ich hab’s begriffen, war ’ne blöde Idee von mir. Aber gib mir bitte zwei, drei Tage Zeit, damit ich alles regeln kann. Dann fahren wir zurück. Okay?« Er streckte mir lächelnd die Hand entgegen – und ich ergriff sie.
»Okay«, sagte ich und bemühte mich, mein Unbehagen fortzuwischen.
»Möchtest du jetzt den Rest vom Haus sehen?«, fragte er freudig.
Ich nickte zerstreut und folgte ihm.
Als Erstes führte er mich in eine kleine Küche, bescheiden, aber komplett ausgestattet und wider Erwarten sauber, dann in das Badezimmer mit grasgrünen Fliesen an den Wänden und einer großen Badewanne. Obwohl das Haus schon längere Zeit leer stehen musste, wirkte es so, als ob es vor Kurzem noch bewohnt worden war. Im Bad befanden sich Handtücher, einige Körperpflegeprodukte sowie zwei Zahnputzbecher mit Zahnbürsten. Und auch das Wohnzimmer, in das er mich nun führte, strahlte eine behagliche Wärme aus und wirkte nicht so, als ob es monatelang vor sich hin gestaubt hätte.
Staunend schaute ich mich um. Alles war freundlich und wirkte so anheimelnd. So hatte ich mir immer ein typisch englisches Wohnzimmer vorgestellt. Klassisch und gediegen eingerichtet. Nicht besonders groß, aber ausreichend Platz für ein stark gepolstertes Sofa, zwei bequeme Sessel und einen Couchtisch. An den Wänden, die mit einer cremefarbenen Stofftapete überzogen waren, befanden sich neben zwei verschnörkelten Wandlampen unzählige gerahmte Bilder. Dazu ein großer Kamin. Das schönste Möbelstück in diesem Raum war jedoch eine schwere Massivholzkommode im
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