Die Tochter der Dirne
sein. Zu viel Wissen konnte gefährlich werden. „Natürlich habe ich nie Eure Sterne gedeutet, Majestät.“ Das ohne seine Erlaubnis zu tun, konnte den Tod bedeuten. Sie überlegte rasch. Der König hatte am Dreikönigstag Geburtstag. Das sollte ihr genug Zeit lassen. „Doch mit Eurer Erlaubnis könnte ich Euch zu Ehren Eures Geburtstages die Sterne deuten.“
„So lange würde es dauern?“
Lächelnd nickte sie. „Um eine Lesung vorzubereiten, die eines Königs würdig ist – oh ja, Majestät.“
Der König lächelte und lehnte sich zurück. „Dann also eine Lesung für meinen Geburtstag.“ Er wandte sich an den hochgewachsenen, dunkelhaarigen Mann zu seiner Rechten. „Hibernia, sorgt dafür, dass sie alles hat, was sie braucht.“
Sie holte tief Luft. Jetzt musste sie nur noch eine Deutung der Sterne zustande bringen, die ihrer Mutter ein lebenslanges Einkommen garantierte. „Mit meinen bescheidenen Möglichkeiten werde ich mein Bestes tun, und es wird mir eine Ehre sein, Eurer Majestät in jeder Weise zu dienen.“
Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen.„Den letzten Astrologen habe ich wegen seiner schlechten Voraussagen eingesperrt. Es würde mich sehr interessieren, was Ihr zu sagen habt.“
Sie schluckte. Dieser König war nicht so naiv, wie er aussah.
Da er mit ihr fertig war, erhob er sich, nahm die Hand der Königin und wandte sich an die Versammelten in der Halle. „Kommt. Lasst uns singen vor dem Essen.“
Solay knickste und sagte leise: „Danke, Majestät.“ Dann zog sie sich zurück.
Eine warme Hand berührte sie an der Schulter.
Als sie sich umwandte, sah sie in dieselben braunen Augen, deren Blick sie ins Stolpern gebracht hatte. Aus der Nähe schienen sie alles zu sehen, was sie zu verbergen trachtete.
Der Mann strahlte Härte und Macht aus. Seine Stirn schien ständig gerunzelt zu sein. „Lady Joan, oder soll ich lieber Lady Solay sagen?“
Sie zwang sich zu einem Lächeln, um zu verbergen, wie sehr ihre Lippen zitterten. „Ihr möchtet mich zum gemeinsamen Singen einladen? Natürlich.“
Er erwiderte ihr Lächeln nicht. „Nein. Ein Wort unter vier Augen.“
Sein Blick unter halb geschlossenen Lidern erweckte den Anschein, als lasteten große Sorgen auf ihm.
Oder als hege er Misstrauen.
„Wenn Ihr es wünscht“,sagte sie etwas unbehaglich. Während er sie in den Gang außerhalb der Großen Halle geleitete, betrachtete sie ihn aufmerksam, um herauszufinden, wer er war, was er wollte und wie sie ihm zu Gefallen sein konnte.
Gott hatte sie mit einem schönen Gesicht gesegnet. Die meisten Männer waren damit zufrieden, sich in ihrer Aufmerksamkeit zu sonnen, ohne jemals zu fragen, was sie dachte oder fühlte.
Und falls sie gefragt hätten, so hätte sie keine Antwort gewusst. Sie hatte es vergessen.
Doch dieser Mann sah sie nur schweigend an, als wüsste er genau, was sie dachte, und verachtete sie dafür. Hinter ihm hallten die Verse des Vorsingers von den Dachbalken wider, und der Chor der Sänger antwortete. Sie lächelte, in der Hoffnung, damit seine finstere Miene zu vertreiben. „Es ist eine fröhliche Singrunde.“
Keine noch so winzige Spur von Heiterkeit zeigte sich auf seinen Lippen, um die ein angespannter Zug lag. „Es klingt, als hätten sie vergessen, dass wir heute auch neben den Franzosen singen könnten.“
Sie erschauerte. In diesem Sommer war es nur Gottes Gnade zu verdanken gewesen, dass die französische Flotte ihre Küsten nicht erreicht hatte. „Vielleicht möchten die Leute den Krieg für eine Weile vergessen.“
„Das sollten sie nicht.“ Sein Tonfall ließ keinen Widerspruch zu. „Jetzt sagt mir, Lady Solay, warum seid Ihr an den Hof gekommen?“
Sie legte einen Finger an die Lippen und dachte nach. Sie durfte nicht sprechen, ohne zu wissen, wer zuhörte. „Sir, Ihr wisst, wer ich bin, aber ich kenne nicht einmal Euren Namen. Seid so freundlich, ihn mir zu nennen.“
„Ich bin Lord Justin Lamont.“
Diese schlichte Antwort verriet ihr nichts von dem, was sie wissen wollte. War er ein Mann des Königs oder nicht? „Seid Ihr ebenfalls ein Gast am Hofe?“
„Ich diene dem Duke of Gloucester.“
Sie verschränkte die Finger, um ein Zittern zu verbergen. In diesen Tagen besaß Gloucester beinahe ebenso viel Macht wie der König. Ohne die Zustimmung seines Onkels vermochte Richard kaum etwas zu tun, eine unerträgliche Situation für einen stolzen und leichtsinnigen Vertreter des Hauses Plantagenet.
Sie sah ihn aus
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