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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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seiner Schüler zu begegnen, denn er wollte nichts anderes, als in Ruhe gelassen werden und den Aufruhr in seinem Inneren betäuben. Zumindest das Bier schmeckte wunderbar. Nach dem zweiten Krug begann er an allem, was er beobachtet hatte, zu zweifeln. Seine Augen mussten ihn getrogen haben. Was hatte Marthe-Marie mit Hofer zu schaffen? Und wenn sie in Ravensburg war, warum hatte er sie und die anderen aus Sonntags Truppe dann nie zuvor gesehen?
    Nach dem dritten Krug winkte er den Wirt heran.
    «Wisst Ihr, ob Gaukler in der Stadt sind?»
    Die Worte kamen ihm wie unförmige Klumpen heraus, denn er war Alkohol nicht gewohnt.
    «Gaukler? Nun ja, vor der Stadt, beim Untertor, lagern ein paar Landfahrer, wenn Ihr die meint. Noch einen Krug?»
    Jonas nickte.
    Eisiger Schneeregen schlug ihm ins Gesicht, als er wieder auf die Gasse trat. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren, doch dem fahlen Licht nach musste es bereits später Nachmittag sein. Er würde sich Gewissheit verschaffen. Schwankenden Schrittes durchquerte er die Stadt, bemerkte kaum, wenn ihn jemand grüßte.
    Als er die Uferwiese erreichte, hatte der Schneeregen aufgehört. Eine tief stehende Sonne schickte ihre letzten Strahlen durch die aufgerissene Wolkendecke und ließ die Landschaft in kräftigen Farben leuchten. Er blieb stehen. Die kalte Luft hatte ihn ernüchtert und den Nebel aus seinem Kopf vertrieben. Dafür legte sich ihm jetzt eine tiefe Beklommenheit wie ein eisernes Band ums Herz. Vor ihm lag das Lager der Gaukler zum Greifen nah, die Konturen der Karren, die Äste der kahlen Bäume zeichneten sich scharf wie bei einem Scherenschnitt gegen die Umgebung ab. Seltsam, er hatte den Tross viel größer in Erinnerung, farbenfroher und eindrucksvoller. Als Erstes entdeckte er Marusch und Anna, wie sie sich am Feuer zu schaffen machten. Weiter hinten standen die Männer um Sonntag versammelt. Weder Diego noch Marthe-Marie waren zu sehen.
    Noch konnte er zurück. Doch dann würde ihn das brennende Verlangen, Marthe-Marie wieder zu sehen, niemals mehr loslassen. Viel zu lange schon hatte er auf diese Fügung des Schicksals gewartet, auf diesen Augenblick, wo sich Marthe-Maries und seine Wege kreuzen würden – nun durfte er diesen Augenblick nicht aus der Hand geben.
    «Jonas!»
    Er fuhr herum. Antonia kam auf ihn zu, im Schlepptau eine Hand voll Kinder und Heranwachsende, von denen er einige gar nicht kannte. Wie sich Maruschs Älteste verändert hatte in den letzten eineinhalb Jahren! Zu einer hübschen jungen Frau hatte sie sich entwickelt. Doch mager war sie, wie alle anderen, erschreckend mager.
    «Was für eine Überraschung.» Sie streckte ihm die Hand hin, die er herzlich drückte. «Willst du wieder bei uns arbeiten?»
    «Das nicht gerade.» Er lächelte schief.
    Nun hatten auch Marusch und Anna ihn entdeckt und eilten heran.
    «Mein Gott, Jonas.» Marusch schloss ihn in ihre kräftigen Arme, dass seine Rippen knackten. «Wie oft habe ich in den letzten Monaten an dich gedacht. Lebst du nicht mehr in Ulm?»
    «Nein.» In knappen Worten berichtete er, wie es ihm seit seinem übereilten Abschied in Freudenstadt ergangen war. «Und wie geht es euch?»
    «Ehrlich gesagt – beschissen. Der Glanz von Leonhard Sonntags Compagnie ist endgültig erloschen, Leo will die Flinte ins Korn werfen. Will sich als Hintersasse irgendwo am See niederlassen, mit einer Sau und ein paar Geißen auf einem schäbigen Hof, wo er dann den ganzen Tag Steine aus dem Acker klaubt – was weiß ich. Er fühlt sich zu alt für dieses Wanderleben, zumal in diesen elenden Zeiten.»
    Jonas sah den bitteren Zug um ihre Mundwinkel, und eine Welle von Mitgefühl überkam ihn.
    «Komm, setz dich zu uns ans Feuer. Dann sollst du alles erfahren. Die Männer werden sich freuen, dich wieder zu sehen.»
    Jonas zögerte. «Nein, lass nur. Ich komme ein andermal wieder. Vielleicht morgen.» Mein Gott, was war er für ein Feigling.
    Marusch zog ihn ein Stück mit sich. «Ist es wegen Diego? Erist nach Freiburg geritten. Vor übermorgen wird er kaum zurück sein.»
    Er nahm allen Mut zusammen. «Und Marthe-Marie?»
    «Sie ist in der Stadt, aber ich denke, sie wird bald kommen.» Plötzlich sah sie ihn verblüfft an und schlug sich gegen die Stirn. «Himmel, jetzt begreife ich erst, was das alles bedeutet. Du lebst hier und sie – nein, das kann kein Zufall sein. Du weißt schon, dass sie als Einzige von uns das große Glückslos gezogen hat, und jetzt willst du   –»
    Er unterbrach

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