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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Himmel, der sich von Westen her zusammenzog. «Hoffentlich gibt das nicht noch einmal Schnee.»
    Jetzt bemerkte Marthe-Marie doch eine Spur von Verlegenheit in seinem Blick, was sie noch mehr verunsicherte. Sie nahm Agnes bei der Hand und marschierte los. Er versuchte, mit ihr Schritt zu halten.
    «Nicht so eilig, wir haben noch Zeit.»
    Sie erreichten das Untertor, wo die Torwache sie freundlich grüßte. Vom Blaserturm herüber blies der Wächter zu Mittag.
    Jetzt ging er dicht neben ihr. Agnes, übermütig wie ein Fohlen, sprang vorweg.
    «Vater hat mir gesagt, wer du bist», sagte er leise. «Dabei hat er mir von deiner Mutter schon früher erzählt, schon kurz nachdem meine Mutter gestorben war. Catharina sei seine erste große Liebe gewesen, damals, als junger Geselle in Freiburg, und er hätte alles getan, um mit ihr zusammenzubleiben, doch seien die Umstände dagegen gewesen. Ich glaube, er wollte mich damals trösten, weil ich gerade zum ersten Mal mein Herz verloren hatte, an eine Frau, die bereits einem anderen versprochen war. Vielleicht wollte er aber auch nur über einen großen Schmerz hinwegkommen, indem er über sie sprach. Denn in jenen Tagen hatte er gerade erfahren, dass   –» Er unterbrach sich und blickte sie unsicher an.
    «Sprich nur weiter. Ich bin darüber hinweg.»
    Sie betrachtete ihn, und mit einem Mal schien es ihr, als würde sie ihn seit Ewigkeiten kennen.
    Sie hatten keine Eile mehr. Während sie das Gerberquartier entlang des Stadtbaches durchquerten, schilderte er, wie furchtbar dieNachricht von Catharinas Verurteilung seinen Vater getroffen hatte. Plötzlich blieb Benedikt stehen und umarmte Marthe-Marie mitten auf der Straße.
    «Ich kann es nicht glauben – ich habe eine zweite Schwester.» Er lachte und küsste sie auf beide Wangen. Agnes sah ihn verdutzt an, Marthe-Marie errötete.
    «Was sollen die Leute von Euch – von dir denken! Ich sehe doch aus wie eine Bettlerin.»
    «Na und? Die Leute können mir den Buckel runterrutschen.»
    Als sie in die Schulgasse einbogen, ging Marthe-Marie unwillkürlich langsamer.
    «Was ist?»
    «Ich habe Angst.»
    «Hör zu, Marthe-Marie: Du darfst nicht länger zweifeln, ob es richtig war, uns aufzusuchen. Ich glaube, du hast Vater von einer quälenden Ungewissheit erlöst.» Er öffnete die Tür. «Und jetzt komm herein.»

38
    Jonas fröstelte, als er zur Mittagszeit auf die Gasse trat. Viel zu schnell waren die ersten lauen Frühlingstage zu Ende gegangen.
    Er kam gerade vom Mädchenunterricht, den er zweimal die Woche abhielt. Er mochte diese Stunden in der gemütlichen kleinen Wohnung in der Nähe des Waaghauses, auch wenn das Entgelt hierfür noch geringer war als für seinen Unterricht in den beiden städtischen Knabenschulen. Vor Jahrzehnten schon hatten die Reformierten unter den Bürgern für ihre Töchter eine Erziehung in den Elementarkenntnissen Lesen und Schreiben gefordert. Als Lehrer war er angewiesen, sein Augenmerk auf die Unterweisungin den christlichen Grundlagen und Tugenden zu legen, was nichts anderes bedeutete, als mit den Mädchen den Katechismus auswendig zu lernen und Kirchenlieder und Psalmen zu singen. Doch ließ er es sich nicht nehmen, seine eigenen Schwerpunkte zu setzen, nämlich Rechnen und Lesen in deutscher Sprache.
    Er bog in die Bachgasse ein, als er wie vom Blitz getroffen stehen blieb: Seite an Seite mit dem Schlossergesellen Hofer, dessen jüngster Bruder seine Lateinklasse besuchte, ging Marthe-Marie. Sie gingen so dicht nebeneinander, so vertraut, als wären sie ein Paar. Jonas starrte ihnen mit offenem Mund hinterher wie ein aus dem Tollhaus Entlaufener.
    Um ein Haar hätte er sie gar nicht erkannt, so ausgezehrt sah sie aus in ihrem geflickten, schäbigen Rock. Doch es war keine Täuschung, denn auch Agnes war dabei. Ausgelassen sprang sie vor den beiden her. Und dann geschah das Ungeheuerliche: Sie blieben stehen und umarmten sich. Seine Marthe-Marie, in ihren zerschlissenen Kleidern, und der junge Hofer! Er stand wie gelähmt vor Bestürzung, rührte sich nicht vom Fleck, bis ihn ein Fischhändler mit seinem Handkarren grob zur Seite stieß.
    Anstatt nach Hause zu gehen und den Unterricht für den nächsten Tag vorzubereiten, tat er etwas, was ihm sonst nie in den Sinn gekommen wäre: Er suchte die Höhle auf, eine düstere Kaschemme gleich unterhalb des Mehlsacks, in der sich angeblich recht zwielichtige Gestalten trafen. Hier lief er wenigstens nicht Gefahr, irgendwelchen honorigen Vätern

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