Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
Vom Netzwerk:
und dem breitkrempigen Hut auf dem knochigen Schädel, mit der hohen Stimme und den langen dürren Fingern hatte er etwas von einer Spinne an sich.
    «Vor diesem Furunkel- und Karbunkelschneider nimm dich in Acht, er hat mich einmal beinahe zu Tode kuriert.» Diego senkte den Kopf und äffte die Kastratenstimme des Arztes nach. «Darf ichmich präsentieren? – Doctorius Honorius Ambrosius aus Quacksalbanien. Es zwickt Euch im kleinen Zeh? Das sind die Säfte, gänzlich durcheinander geraten sind die armen Säfte! Da hilft nur ein kräftiges Klistier aus Petroleum. Was? Der Kopf schmerzt auch? Ja, ja, die schwarze Galle drückt aufs Hirn. Doch keine Sorge, ein wenig Geiersalbe und Elefantenschmalz in jedes Nasenloch – und Ihr verliert garantiert den Verstand, der Euch schon so lange quält.» In gespieltem Wahnsinn raufte er sich die Haare und rollte mit den Augen, bis Marthe-Marie sich vor Lachen verschluckte.
    «Er ist ein elender Kurpfuscher, außer Blutegelsetzen fällt ihm nichts ein. Eigentlich ist er gar kein Medicus, nur ein mittelmäßiger Bruchschneider. Vielleicht hat er ja wirklich, wie es neuerdings üblich wird, gegen viel Geld sein Examen vor einer medizinischen Fakultät abgelegt und damit seine Chirurgengerechtigkeit erworben, aber studiert hat er nicht Paracelsus und Galen, sondern nur sein speckiges Feldbuch der Wundarznei, das er immer mit sich führt.»
    Die Lebensgeschichte von Mettel, die als Magd und Köchin im Tross mitreiste und für Ambrosius heilkräftige Pflanzen sammelte, hatte sie von der Alten selbst erfahren. Marthe-Marie ging ihr beim Kochen, Waschen und Flicken zur Hand und kam recht gut mit ihr aus. Mettel musste einmal sehr schön gewesen sein, jetzt sah sie grau und verbraucht aus. Nur ihren aufrechten, wiegenden Gang hatte sie trotz der schweren Arbeit im Lager beibehalten.
    «Warum nennen die anderen dich manchmal die Nonne?», fragte Marthe-Marie sie an ihrem dritten Abend bei den Gauklern, als sie der Alten beim Feuermachen half.
    Mettel grinste und entblößte dabei einen Goldzahn, ihren ganzen Stolz.
    «Ich habe mal bei den Augustinerinnen gelebt. Aber unsere Freunde hier meinen das wohl eher spöttisch. Ich war nämlich eine erfolgreiche Kupplerin.»
    Dann begann sie zu erzählen: Als Tochter einer Frankfurter Dirne hatte sie nichts anderes kennen gelernt als die Welt der bezahlten Liebesdienste. Im Frauenhaus, das damals noch dem Henker unterstand, erlebte sie oft, wie die Huren leer ausgingen für ihre Dienste oder von den Kunden geschlagen wurden. Dafür gab es dann vom Henker, der wöchentlich abkassierte, eine weitere Tracht Prügel. Mettel wollte ausbrechen aus diesem Leben und trat in einen Büßerinnen-Konvent ein. Aber die strenge Zucht und Ordnung und das ewige Beten hielt sie nicht einmal ein Jahr aus.
    «Da habe ich mir gedacht: Schuster, bleib bei deinen Leisten, aber fang es besser an als die anderen. Ich habe die drei schönsten Mädchen aus dem Frauenhaus geholt, ein kleines Häuschen angemietet und ein Spinnhaus eingerichtet, das bald zu einem bekannten Treffpunkt für Besucher der Stadt wurde.»
    «Ein Spinnhaus für Besucher?»
    «Mädchen, du scheinst von diesen Dingen ja wirklich keinen Deut zu verstehen. Gesponnen und gewebt wurde da höchstens eine Stunde am Tag, in Wirklichkeit war das Haus ein Winkelbordell. Jedenfalls lief das Geschäft, wie ich es mir erträumt hatte. Ich war meine eigene Herrin, bald kamen nur die besten Kunden zu uns: Kaufleute, die zur Messe anreisten, Gelehrte, Adlige und natürlich jede Menge Pfaffen.»
    Marthe-Marie schluckte. «Und warum bist du jetzt hier?»
    «Neid regiert überall die Welt, auch unter den Huren. Den Hübschlerinnen vom Frauenhaus war mein Erfolg irgendwann ein Dorn im Auge, sie legten mir Steine in den Weg, wo es nur ging. Ich hatte so etwas fast vorausgeahnt.» Sie seufzte. «Wie meine Mutter immer gesagt hatte: ‹Wenn die Stühle auf die Bänke steigen, so wird’s nicht gut.› Irgendwann stürmten diese Weiber dann mein Spinnhaus, zerschlugen den ganzen Hausrat und warfen die Fensterscheiben ein. Ein halbes Jahr später dasselbe Spiel,und bald darauf kamen die Büttel, um mich und meine Frauen zu holen. Ich nehme an, dahinter steckte ein gewisser Ratsherr, dessen abartige Wünsche zu erfüllen wir uns geweigert hatten. Kurz und gut: Man schnitt uns die Haare ab, und wir mussten einen Mistkarren kreuz und quer durch die Stadt ziehen, mitten zur Marktzeit. Danach wurden wir aus der Stadt

Weitere Kostenlose Bücher