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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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ein Nervenbündel. Daher hatte er sich angewöhnt, bei solchen Unternehmungen den Spanier mitzunehmen.
    «Hast du die Liste mit unserem Repertoire?», fragte Diego.
    «Ich?» Sonntag fingerte hektisch in seinen Taschen. «Ja, Herrschaftssakra – ich dachte, du – warte, sie muss auf dem Kutschbock liegen.»
    Bereits am frühen Vormittag kehrten sie zurück. Die Männer und Frauen umringten sie erwartungsvoll.
    «Wir können auftreten!» Sonntags dickes Gesicht strahlte. «Und zwar alle! Das gesamte große Programm! Wie immer dürfen wir natürlich nichts Ärgerliches oder Skandalöses spielen, nichts Gottloses oder Unbescheidenes.»
    Lautstarkes Jubeln und Klatschen übertönte seine letzten Worte. Er wandte sich an Marusch und Marthe-Marie. «Diese Kindsköpfe. Ich bin noch gar nicht fertig. Also: Wenn unsere Darbietungen dem Rat gefallen, dürfen wir einen weiteren Tag auftreten.»
    Marusch gab ihm einen Kuss auf die Stirn. «Das hast du gutgemacht, mein Löwe.»
    «Zähe Verhandlungen, wie immer. Selbst Salome darf ihr Zelt aufschlagen.»
    Severin tippte ihm auf die Schulter. «Da ist einer, der will den Prinzipal sprechen.»
    Sonntag drehte sich um. Ein junger Mann stand vor ihm und verbeugte sich höflich. «Jonas Marx, Scholar aus Straßburg.»
    Alle Blicke wandten sich dem Fremden zu.
    «Was für ein hübscher Bursche», flüsterte Marusch Marthe-Marie ins Ohr. «Da wäre ich gern zehn Jahre jünger.»
    Marthe-Marie musste ihr Recht geben. Jonas Marx war hoch gewachsen und schlank, seine hellbraunen, fast blonden Haare fielen ihm in Wellen bis zur Schulter. Das bartlose Gesicht war ebenmäßig geschnitten mit einer schmalen, leicht gebogenen Nase und einem Grübchen im Kinn, das ihm etwas Freches, Jungenhaftes verlieh. Auffallend waren die dunklen Augenbrauen, die ganz im Gegensatz zum hellen Haar standen. Marthe-Marie trat einen Schritt näher. Irgendetwas an diesem Jonas Marx gab ihr zu denken.
    Der Prinzipal trat ungeduldig von einem Bein aufs andere. «Soso, Scholar aus Straßburg. Da seid Ihr hier am falschen Fleck. Wir sind keine Lateinschule, sondern Gaukler und Komödianten.»
    «Ich muss Geld verdienen für meine Studien, und wollte Euch daher meine Dienste anbieten.»
    «Wir brauchen keinen Studierten.»
    «Ich kann jonglieren.»
    Sonntag sah ihn spöttisch an. «Also doch Artist?»
    «Nein, ich bin nur als fahrender Schüler viel herumgekommen und habe dabei eben auch ein wenig jonglieren gelernt. Eigentlich arbeite ich als Hauslehrer, und da hat mir das Jonglieren oft geholfen, wenn meine Schüler vor Langeweile kurz vorm Einschlafen waren.»
    «
Hombre!
Ein echter Pädagogus!» Don Diego warf ihm blitzschnell drei rote Bälle zu, die Jonas geschickt auffing und sofort auf ihre Bahn in die Luft beförderte. Ohne zu unterbrechen, nahm er auch den vierten und fünften Ball auf. Konzentriert stand er da, die Beine locker gegrätscht, den Oberkörper leicht zurückgebogen.
    Marthe-Marie konnte nicht aufhören, ihn anzustarren. An wen erinnerte sie dieser Bursche? Als er ihren Blick wahrnahm, griff er daneben, und die Bälle fielen zu Boden. Ein paar Gaukler begannen zu klatschen. Jonas grinste verlegen.
    «Einen Jongleur könnten wir brauchen», sagte Diego zu Sonntag. «Valentin und Severin sind zwar begnadete Artisten und Luftspringer, aber einen Ball fangen sie nicht mal mit zwei Händen auf. Ich könnte mit ihm eine Doppelnummer einüben bis Samstag.»
    Sonntag strich sich über den kahlen Schädel.
    «Bitte, Meister, gebt Euer Einverständnis.» Jonas Marx warf dem Prinzipal einen flehenden Blick zu. «Ich müsste nur noch mein Gepäck aus Breisach holen, wo ich zuletzt gearbeitet habe. Aber mein Pferd ist schnell, und ich könnte morgen Vormittag zurück sein.»
    «Gut.» Der Prinzipal ging mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. «Du kannst bei uns mitmachen. Vorausgesetzt, du bleibst bis Offenburg dabei, wo wir mehrere Tage gastieren werden. Das hier ist Don Diego, er wird dir sagen, was zu tun ist. Das ist Marusch, meine Gefährtin, und die junge Frau hier –».
    Doch Marthe-Marie war schon vorgetreten. «Agatha Müllerin. Kennen wir uns nicht irgendwoher?»
    «Ich glaube nicht.» Eine Spur Unsicherheit lag in seinem Lächeln. Diese nussbraunen Augen. Aber vielleicht erinnerten sie sie auch nur an Veit. Auch er hatte diesen offenen Blick unter dichten Wimpern gehabt. Verwirrt machte sich Marthe-Marie daran, die Wäsche abzunehmen, die sie am Vorabend zwischen zwei Wagen an einer Leine

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