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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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gejagt.»
    Marthe-Marie hatte atemlos zugehört. «Und dann?»
    «Nun ja, in meinem Alter geht man nicht mehr als Straßendirne, das wäre das Letzte. Wenn du Glück hast, bekommst du fünf Pfennige für eine schnelle Vögelei in der Toreinfahrt oder auch nur einen Tritt. Vor Hunger frisst du Dreck. Nein, ich kann meinem Schicksal dankbar sein. Gerade zum rechten Zeitpunkt bin ich auf diesen alten Griesgram Maximus gestoßen – du weißt schon, der Gewichtheber. Er hat mich überredet, mit ihm zu kommen, und hier werde ich auch für den Rest des Lebens bleiben. Himmel, jetzt stell dich doch nicht so ungeschickt an! Man merkt, dass du dir nie die Hände schmutzig machen musstest.»
    Mit diesem Vorwurf, der nicht allzu böse gemeint war, schien sie ihre Erzählung beenden zu wollen, und Marthe-Marie fragte nicht weiter.
    Die meisten begegneten ihr, wenn sie Rast machten oder das Lager aufschlugen, nach wie vor mit Misstrauen, vor allem Mettels Gefährte Maximus, der stärkste Mann der Welt, der niemals lachte, und Quirin mit seinen narbenübersäten Armen. Andere waren geradezu aufdringlich wie die Hausierer oder der Wundarzt Ambrosius, der sich ihr tatsächlich als «examinierter Doktor der Alma Mater zu Prag, geprüfter Chirurgus und Medicus» vorgestellt hatte. Wäre Marusch nicht gewesen, sie hätte dem Gauklertross womöglich schon am zweiten Tag den Rücken gekehrt.
    Am vierten Tag ihrer Reise wurden sie von zwei Landkutschen überholt. Marusch fuhr mit ihrem breiten Fuhrwerk wie immer an der Spitze des Zuges. Als die erste Kutsche vorbeipreschte, wurdensie fast in den Graben gedrängt. «Aus dem Weg, ihr Vagantenpack!», brüllte der Kutscher, und Marusch antwortete mit ein paar Flüchen, wie sie Marthe-Marie noch nie gehört hatte. Der zweite Wagen hielt sich auf gleicher Höhe mit ihnen. Auf dem Bock saß ein junger Bursche.
    «Seid gegrüßt, Ihr schönen Jungfern. Wie schade, dass ich keine Zeit für Euch habe.»
    Aufgeblasener Windbeutel, dachte Marthe-Marie und beneidete die Reisenden im Inneren der Kutsche um ihr gepolstertes und gefedertes Fahrzeug, denn ihr tat längst der Hintern weh.
    «Dabei hätten wir auf einen Mann wie Euch gerade gewartet», gab Marusch zurück. «Wohin fahrt Ihr?»
    «Über Straßburg nach Frankfurt zur Messe.»
    «Würdet Ihr meine Begleiterin bis Offenburg mitnehmen?»
    «Mit Vergnügen. Aber ich weiß nicht, ob sie die vier Gulden Reisegeld bezahlen kann.»
    «Fahrt Eures Weges und lasst uns in Ruhe», rief Marthe-Marie hinüber. Sie war wütend. Nicht auf den selbstgefälligen Kutscher, sondern auf Marusch.
    «Willst du mich loswerden? Dann sag es geradeheraus.»
    Marusch lachte schallend. «Nein, von mir aus kannst du immer und ewig bei uns bleiben. Ich dachte nur, unser Schneckentempo wird dir langsam lästig. Wir sind erst kurz vor Emmendingen, und mit den feinen Herrschaften wärst du morgen am Ziel deiner Reise.»
    Sie waren tatsächlich bereits zwei Tage länger als geplant unterwegs, da sie auf eine Bauernhochzeit gestoßen waren, bei der die Musikanten hatten aufspielen und Valentin und Severin ihre Akrobatik vorführen dürfen. Zudem fuhren sie immer wieder Umwege, um die zahlreichen Mautstellen der jeweiligen Landesherren zu umgehen, von denen es in diesem zerrissenen Reich nur so wimmelte. Bisweilen mussten sie gar auf unbefestigte Feldwegeausweichen, wenn die Landstraße wieder einmal mitten durch einen Marktflecken führte, damit den Reisenden Torzoll und Pflastergeld abgeknöpft werden konnte.
    «Ehrlich gesagt», Marthe-Marie schob trotzig die Unterlippe vor, «will ich nicht meine ganzen Ersparnisse für eine Reisekutsche ausgeben. Außerdem habe ich Zeit.»
    «Na dann!» Marusch trieb die beiden Pferde auf die Mitte der Landstraße zurück. «In Emmendingen ist nächsten Samstag großer Bauern- und Krämermarkt. Wenn wir Glück haben, bekommen wir eine Aufführerlaubnis. Aber keine Sorge, spätestens zu Ostern sind wir in Offenburg.» Sie blinzelte ihr zu.
    Ob das nun ernst gemeint war oder nicht – im Grunde war es Marthe-Marie einerlei, ob sie morgen oder in zwei Wochen am Ziel sein würde. So fremdartig, hässlich oder gar ehrlos einige aus dieser Truppe auch sein mochten, nach den schrecklichen Ereignissen in Freiburg fühlte sie sich unter den Fahrenden inzwischen geschützter als in einer Kutsche mit Handelsreisenden. Und die kleine Agnes war begeistert von ihren Spielkameraden.
    Sie schlugen ihr Lager auf einer Viehweide auf, eine viertel Wegstunde

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