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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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der Spanier zu schimpfen begonnen. «Jetzt Ihr haben unser kleinen Carlos geweckt. Das Bubele hat so schön geschlafen.»
    Als Agnes in der fremden Umgebung weder ihre Mutter noch Mechtild entdecken konnte und dazu noch das laute Schimpfen der unbekannten Stimme hörte, war ihr Schreien zu einem ohrenbetäubenden Gebrüll angeschwollen. Der Wächter hatte fluchtartig den Wagen verlassen und sie durch das Tor gewunken. Eilig hatte Marthe-Marie ihre Tochter auf den Arm genommen, weniger, um sie zu beruhigen, als um den übertriebenen Zärtlichkeiten ihres Begleiters ein Ende zu setzen. Bei aller Dankbarkeit war sie heilfroh, während der Rast zu Marusch wechseln zu dürfen.
    Vom hinteren Teil des Trosses waren jetzt laute Rufe zu hören. Ein junger Bursche kam auf seinem Maultier herangetrabt.
    «Alle fertig mit Tränken.»
    Marusch reichte Marthe-Marie das Kind. Dann stieß sie in ein Horn, das an einem Strick vom Kutschbock hing, brüllte laut «Avanti!» und klatschte den beiden Braunen die Zügel auf die breiten Rücken.
    Marthe-Marie betrachtete verstohlen die kräftige Frau neben sich. Sie war wohl einige Jahre älter als sie selbst, aber immer noch um etliches jünger als der Prinzipal. Jetzt reckte sie die sommersprossige, kurze Nase vorwitzig in die Luft, als könne sie auf diese Weise ihre Umgebung besser wahrnehmen. Um die Augen undMundwinkel hatten sich Lachfältchen eingegraben. Alles an ihr strahlte Tatkraft und Selbstbewusstsein aus. Nur um den fein geschwungenen Mund lag ein Zug von Verletzlichkeit.
    «Danke, dass du mir geholfen hast.»
    «Ach was, Firlefanz. Ich finde es schön, mal jemand anderen als meinen dicken Löwen neben mir zu haben.»
    «Wann werden wir in Offenburg sein?»
    «In einer Woche vielleicht. So genau wissen wir das nie. Lebt dein Mann dort?»
    «Nein, ich hoffe, dass ich dort   –» Sie zögerte. «–   dass ich dort meinen Vater finde. Ich kenne ihn aber gar nicht.»
    Marusch nickte, als ob das das Selbstverständlichste der Welt sei. «Und dein Mann?»
    «Der ist gestorben, am hitzigen Fieber. Vor über einem Jahr schon.»
    «Das tut mir Leid. Mir sind auch schon zwei Männer gestorben. Und einer ist weggelaufen, zu einer Jüngeren.»
    «Wie viele Kinder hast du?»
    «Fünf. Antonia, Tilman, Titus, Clara und Lisbeth. Antonia ist von meinem ersten Mann, Tilman und Titus vom zweiten, Clara vom dritten und Lisbeth ist Leonhards Tochter. Sie ist grad erst zwei Jahre alt, also in Agnes’ Alter.»
    «Und warum sind die Kinder nicht hier?»
    «Sie haben ihren eigenen Karren, gleich hinter Diego. Hier ist es viel zu eng.»
    Marthe-Marie sah sie erstaunt an. «Du lässt sie allein fahren?»
    «Warum allein? Hier gibt jeder auf jeden Acht. Außerdem ist Antonia schon zwölf, und sie haben die beiden Hunde bei sich. Aber du hast Recht, ich könnte Lisbeth herholen. Normalerweise langweilt sie sich bei uns, aber jetzt, wo Agnes mitfährt, hätte sie eine Spielgefährtin.»
    Marthe-Marie beugte sich nach außen und blickte zurück, umnach dem Karren der Kinder zu sehen. Aber der breite Wagen des Spaniers versperrte die Sicht. Don Diego hob die Hand zum Gruß und grinste breit. Der Prinzipal neben ihm wandte mürrisch den Blick ab.
    «Ich glaube, Leonhard Sonntag ist immer noch verärgert.»
    «Das ändert sich schnell. Am besten trinkst du heute Abend einen Becher Wein mit ihm und erzählst, dass du Witwe bist und mit deiner kleinen Tochter ganz allein auf der Welt. Da wird er vor Rührung dahinschmelzen. Familie bedeutet ihm alles.»
    Hinter dem Dörfchen Vörstetten schlugen sie am Ufer der Glotter ihr Nachtlager auf. Die Wagen formierten sich zu einem Kreis, die Zugtiere wurden ausgespannt und zum Wasser geführt. Marthe-Marie wunderte sich, dass etliche der kleineren Karren von Hand gezogen wurden. Pferde waren nur vor die beiden schweren Fuhrwerke gespannt, ansonsten gab es Maultiere oder Esel. Und ein ganz wunderliches Biest. Es war größer als die Pferde, hatte einen hässlichen Schafskopf, einen Eselsschwanz und zwei Buckel: ein leibhaftiges Kamel.
    Jetzt aus der Nähe, ohne Zier und Flitterkram, sahen die Wagen und Karren ungleich schäbiger aus als während der Aufführungen. Und auch die meisten der Fahrenden wirkten ärmlich und abgerissen.
    Marthe-Marie fragte, wie sie sich nützlich machen könne.
    «Geh doch mit den Kleinen Holz sammeln. Da kann sich Agnes gleich an die anderen Kinder gewöhnen.» Marusch zupfte am Saum ihres Kleides. «So kannst du nicht in den Wald.

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