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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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aufgehängt hatte.

8
    Die schwere Eichenholztür sprang fast aus den Angeln, als Jonas in die Wohnstube gestürzt kam.
    «Ich habe sie gefunden. Sie nennt sich Agatha Müllerin. Undsie ist tatsächlich mit den Gauklern gezogen, wie Ihr es vermutet habt. Die nächsten vier, fünf Tage werden sie in Emmendingen verbringen.»
    Er holte tief Luft und setzte sich dem alten Mann gegenüber, dessen Gesicht sich bei seinen Worten aufgehellt hatte.
    «Dem Himmel sei Dank. Vielleicht treffe ich eine falsche Entscheidung und bürde dir eine zu schwere Verantwortung auf. Aber du bist der Einzige, dem ich ohne Einschränkung vertraue. Du bist mir längst wie ein eigener Sohn.»
    Voller Zuneigung betrachtete Jonas den Greis mit dem schlohweißen Haar, der trotz seines Alters kerzengerade im Lehnstuhl saß, die lahmen Beine unter einer Decke verborgen. Seit Dr.   Textor ihn als Hauslehrer für seine Töchter eingestellt hatte, gehörte Jonas zur Familie. Und in naher Zukunft würde er Textors Schwiegersohn sein, denn er hatte gegenüber Magdalena, seiner Ältesten, das Ehegelöbnis abgelegt. Sobald er das Amt als Schulmeister in der Freiburger Lateinschule antreten würde, wollte er Magdalena heiraten.
    «Was meinst du, was die Mangoltin vorhat?»
    «Sie reist mit den Gauklern bis Offenburg, mehr weiß ich nicht.»
    «Gut so. Nun ist eins wichtig: Du musst ihr deutlich machen, dass sie nicht mehr nach Freiburg zurückkehren kann, denn jetzt, nach ihrer Flucht, würde man sie sofort im Turm festsetzen. Die Anklage auf Hexerei und Mordversuch ist inzwischen vom Rat verabschiedet. Du musst ihr Vertrauen erlangen, ohne dich als Mitglied unserer Familie zu erkennen zu geben. Am besten, du erzählst beiläufig, dass eine Marthe-Marie Mangoltin im Freiburger Gebiet gesucht wird. Bleibe bei ihr bis Offenburg. Ich denke, dort ist sie in Sicherheit. So weit werden die Kontrollen der vorderösterreichischen Beamten nicht reichen.»
    «Ich habe schon damit gerechnet, dass ich sie begleiten soll.»Jonas lächelte fast ein wenig stolz. «Die Spielleute haben mich als Jongleur eingestellt, am Sonntag habe ich meinen ersten Auftritt. Morgen in aller Frühe muss ich zurück zu ihnen, um mit den Proben zu beginnen.»
    «Das ist nicht dein Ernst.» Textors Miene schwankte zwischen Sorge und Erheiterung. «Du weißt doch, dass wir Freunde in Emmendingen haben – wenn die dich erkennen!»
    «Keine Sorge, ich werde mich schminken. Außerdem: Als einfacher Scholar hätte mich der Prinzipal niemals aufgenommen.»
    «Aber verrate Magdalena nicht, dass du jetzt bei den Gauklern bist, sie würde vor Angst sterben.»
    Jonas nickte. Dann nahm er allen Mut zusammen und stellte eine Frage, die ihm als jungem Hauslehrer gegenüber dem Familienoberhaupt eigentlich nicht zustand.
    «Diese ganzen Heimlichkeiten, diese ganze Aufregung – warum ist die Frau Euch so wichtig?»
    Textor strich die Decke über seinen Beinen glatt.
    «Weil ich einst einen großen Fehler gemacht habe, den ich nie wieder gutmachen kann. Es darf nicht noch mehr Unheil geschehen.»
    «Wer ist diese Marthe-Marie Mangoltin?»
    «Das kann ich dir nicht sagen, nicht, solange sie unter unserem Schutz steht.»
    «Ist sie wirklich die Tochter einer Hexe?»
    «Nein!» Fast schroff kam die Antwort.
    Jonas runzelte die Stirn. Warum hatte Textor kein Vertrauen zu ihm? Ihm wäre so viel wohler gewesen, wenn er Bescheid gewusst hätte; allein schon wegen Magdalena. Er hasste es, sie anzuschwindeln.
    Seitdem Textor diese Fremde hier in Lehen gesehen hatte, war er völlig verändert, und ihr Zusammenleben wurde bestimmt von Geheimniskrämerei, Ausflüchten und Notlügen. Nachdem derAlte mit seiner Hilfe herausgefunden hatte, dass es sich tatsächlich um Marthe-Marie Mangoltin aus Konstanz handelte, war es erst richtig losgegangen: Jonas solle in Erfahrung bringen, warum sie sich in Freiburg aufhielt. Dass er ihr im Fastnachtsgetümmel gefolgt war, schien ihm heute wie ein Wink des Schicksals. Als ob Gott ihn gelenkt hätte, um ihr durch seine Hand das Leben zu retten. Oder war es dieser fragende Blick aus ihren dunklen Augen gewesen, der ihn nicht mehr losgelassen hatte? Beinahe wäre er zu spät gekommen, denn er hatte sie in den dunklen Gassen der Wolfshöhle verloren. Von dem schrecklichen Kampf träumte er noch heute in wüsten Bildern voller Blut und Schmerzensschreien, und die ersten Tage war er sich sicher, dass er den Maskierten mit seinen tiefen Messerstichen getötet hatte, er, der als Junge

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