Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
Vom Netzwerk:
du und ich – eine Hexe war sie niemals. So viel zu diesem Punkt. Und nun zu deiner anderen Frage.» Textor wirkte mit einem Mal sehr erschöpft. «Ich habe niemanden verurteilt. Der Magistrat hatte mich damals zum leitenden Commissarius ernannt, eine Aufgabe, die anzunehmen ich verpflichtet war. Zwölf Frauen wurden damals wegen Hexerei zum Tode verurteilt, darunter die Stadellmenin, die ich über ihren Mann recht gut kannte. Die meisten dieser Frauen waren Witwen ehrbarer Bürger oder Ratsherren gewesen, hatten sich also weder als Kräuterweiber oder Zauberinnen hervorgetan. Zwei elend lange Monate war ich gezwungen gewesen, mich mit dem Tatbestand der Hexerei zu beschäftigen, mit den Theorien der Rechtsgelehrten und Geistlichen, mit der Frage nach der Rechtfertigung von Folter. Am Ende bin ich zu meiner heutigen Überzeugung gelangt. Ich habe wirklich versucht, den Rat der Vierundzwanzig mit meinen Argumenten zu überzeugen, habemehrere Gutachten seitens der Freiburger Juristenfakultät eingeholt. Meine ganze Hoffnung setzte ich auf Johann Heinrich Tucher, der bereits Jahre zuvor ausführlich begründet hatte, dass nur die Aussagen ehrbarer Zeugen für die Verhängung von Haft und Tortur, nicht aber Gerüchte oder Besagungen neidischer Mitmenschen ausreichen. Aber damals hatten schon die Doctores Metzger und Martini das Sagen, die die peinliche Befragung eifrig rechtfertigten. Ich erspare dir die juristischen Spitzfindigkeiten. Kurzum – es war alles vergeblich. Mir blieb nur, mich von meinem Amt als Commissarius entbinden zu lassen. Verhindern konnte ich das Urteil nicht, auch wenn ich ganz am Ende noch überraschend Unterstützung von ganz unerwarteter Seite erhielt, nämlich von Stadtpfarrer Armbruster, der beim Magistrat intervenierte. Auch er meinte, die wiederholte Folter handle wider das geschriebene Recht, und die Frauen hätten nur aus Furcht vor erneuten Qualen ihre Taten gestanden. Alles vergebens, aber immerhin bewirkte er, dass die armen Seelen vor der Hinrichtung die heilige Kommunion empfingen und dass ich die Stadellmenin in ihren letzten Tagen aufsuchen durfte, um ihre Geschichte aufzuschreiben. Als Dokument für die juristische Fakultät, sozusagen.«
    Textor schwieg eine Weile und sprach dann mit kaum hörbarer Stimme weiter. «Das waren die schrecklichsten Tage meines Lebens. Vom ersten Sonnenstrahl bis Einbruch der Dunkelheit saß ich bei ihr im Turm. Sie war nur noch ein Wrack, ein Schatten ihrer selbst. Und wenn ich bis dahin noch Zweifel gehabt haben mochte, so wusste ich spätestens in diesen Tagen, dass Catharina Stadellmenin nichts als ein Opfer verlogener und bösartigster Anschuldigungen war.»
    Der Blick des alten Mannes war in die Ferne gerichtet, seine Mundwinkel zitterten.
    «Und warum habt Ihr alles aufgeschrieben, wo das Urteil doch feststand?», fragte Jonas leise.
    «Um der Hoffnung willen, solches Unrecht in Zukunft verhindern zu können. Zunächst schien es auch, als ob sich eine Wende anbahnen würde. Meine Aufzeichnungen wurden von der Fakultät angenommen, die Verfolgungen hörten auf, und als ich schließlich ausgerechnet den Hauptzeugen, jenen Hartmann Siferlin, des fortgesetzten Betrugs an der Stadt Freiburg und damit seines schändlichen und gottlosen Charakters überführen konnte, begannen sogar einige der damaligen Richter an der Rechtmäßigkeit des Urteils zu zweifeln. Doch heute, nur vier Jahre später, entflammt dieser schändliche Wahn erneut, nicht nur in den Gassen, auch in den Köpfen der Obrigkeit. Es wird immer schlimmer. Ich habe erfahren, dass im Magistrat über eine Fanggebühr debattiert wird. Zwei Schillinge für jede gemeldete Hexe, alles nach dem Grundsatz: Lieber hundert Unschuldige brennen als einen Schuldigen entwischen lassen.»
    Er sah Jonas an. «So sieht es aus, Jonas. Nun kannst du selbst entscheiden, wie viel Schuld ich am Schicksal dieser Frau trage.»
    Jonas schüttelte den Kopf. «Ihr habt alles getan, was in Eurer Macht stand. Jetzt verstehe ich auch, warum Ihr Marthe-Marie schützen wolltet. Und ich bin Euch sehr dankbar dafür.»
    «Ja, sie war in großer Gefahr. Längst werden in manchen Gegenden Menschen gefangen gesetzt, nur weil sie Kinder oder Gatten vermeintlicher Hexen sind. Im Erzstift Mainz und in Lothringen hat man halbe Familien ausgerottet. Vielleicht kannst du dir also meinen Schrecken vorstellen, als die Mangoltin plötzlich hier in Freiburg auftauchte. Zunächst vermochte ich mich damit zu beruhigen, dass außer mir

Weitere Kostenlose Bücher