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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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ganzes Gesicht in Schieflage geriet. Gleichzeitig fielen seine Augenlider schlaff herunter wie bei einem alten Hund.
    «Na ja.» Der Alte wirkte verunsichert. «Ich weiß nicht», meinte der andere, «der Spanier damals sah schon um einiges jünger aus.»
    Marthe-Marie warf einen verstohlenen Blick auf Diego. Tatsächlich wirkte er mit einem Mal wie ein Greis. Selbst sein Bart hatte weiße Einsprengsel, oder täuschte sie sich?
    «Dann will ich Euch etwas sagen.» Der Prinzipal verschränkte die Arme. «Dieser Mann heißt Alfons Jenne, ist niemals über die Grenzen unseres Deutschen Reiches hinausgekommen und seit über zehn Jahren meine rechte Hand. Ich verstehe zwar Euren Zorn, wenn Alfons diesem Spitzbuben, von dem Ihr sprecht, wirklich so ähnelt, aber er ist’s nun mal nicht. Ihr könntet Euch also wenigstens bei seiner Gattin entschuldigen. Ihr einen solchen Schrecken einzujagen!»
    «Vater, Vater!» Schluchzend kletterte Maruschs Älteste zu Diego auf den Kutschbock. «Was wollen diese Männer von dir?»
    Diego klopfte ihr beruhigend auf die Schulter. «Ist schon gut, mein Mädchen. Die frommen Brüder haben sich geirrt.»
    «Ihr müsst schon verzeihen», murmelte der Alte. «Aber im ersten Moment hat uns wohl die Erinnerung einen Streich gespielt. Behüt Euch Gott.» Er gab den anderen einen Wink, und die Gruppe zog weiter.
    «Behüt Euch Gott!» Diego versuchte ein mildes Lächeln auf seine verzerrten Lippen zu zaubern. Dann gab er der grinsenden Antonia einen Kuss auf die Stirn. «Du kleines Luder.»
    Längst hatte sich die gesamte Truppe um den Wagen versammelt. Die meisten konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen.
    «Wenn jetzt einer Beifall klatscht», Sonntags Kopf war hochrot angelaufen, «bekommt er einen Tritt, den er nicht vergessen wird. Weiterfahren, auf der Stelle! Und wir beide», wandte er sich an Diego, «sprechen uns später. Deine Überraschungen stehen mir bis zum Hals.»
    Marthe-Marie nahm die Zügel wieder auf. Der Schreck steckte ihr noch in den Knochen. Wenn dieser Mönch sich nicht hätte täuschen lassen, wäre Diego am Ende am Galgen gelandet.
    «Am besten bleibst du im Wagen, bis wir aus dieser Gegend sind.»
    «Du hast Recht.» Diego klopfte sich den Staub aus den Barthaaren und verkroch sich im Schutz der Plane. «Aber du musst gestehen: Wir beide geben ein wunderbares Ehepaar ab, oder?»
    Marthe-Marie antwortete ihm nicht. Dieser Schmierenkomödiant. Aber überzeugend war der Auftritt wirklich gewesen.
    «Marthe-Marie?» Er streckte den Kopf unter dem Verdeck hervor. «Du glaubst doch nicht etwa diese Räubergeschichte? Willst du die Wahrheit hören? Nein? Gut, dann erzähl ich sie dir trotzdem.»
    «Sag mir lieber, wer du bist.»
    «Ich bin Alfons Jenne, komme aus einer kleinen Stadt bei Stuttgart und habe mich, wie du ja längst weißt, vor vielen Jahren als Führer der Jakobspilger verdingt. Eine lohnende und angenehmeBeschäftigung, bis zu dieser dummen Geschichte mit den Pilgern aus Zell. Wir waren in der Nähe von Burgos, als dichter Nebel aufkam. Ich wollte die Gruppe in eine Pilgerherberge führen, die mir gut bekannt war, aber ich hatte die Orientierung verloren und kam stattdessen an eine verlassene Mühle. Gut, dachte ich mir, immerhin ein Dach über dem Kopf, und bereitete mein Lager wie gewohnt im Stall, beim Gepäck und den Maultieren, während die anderen in der Mühle übernachteten. Irgendwann in der Dunkelheit bekam ich einen Prügel über den Schädel gezogen, und als ich wieder zu mir kam, waren Gepäck und Maultiere verschwunden. Die Pilger waren außer sich, glaubten mir natürlich kein Wort, und so machte ich mich in einem unbeobachteten Moment aus dem Staub. Ich habe dann noch einige Monate bei
vaqueros
gearbeitet, aber nachdem mich ein Stier auf die Hörner genommen hatte, kehrte ich diesem Land endgültig den Rücken.»
    «Deswegen wolltest du also nicht durchs Kinzigtal fahren.»
    «Erraten.»
    «Dann verstehe ich erst recht nicht, warum du dich überall als Don Diego aus Spanien ausgibst.»
    «Das ist eine andere Geschichte. Vielleicht erzähle ich sie dir einmal.»
    «Weißt du was? Ich will sie gar nicht hören.»
    Diego schwieg eine ganze Zeit lang. Dann tippte er ihr auf die Schulter.
    «Marthe-Marie, würdest du mich heiraten?»
    «Nein!»
    Ihr Ärger begann in Zorn umzuschlagen. Doch eine innere Stimme sagte ihr, dass sie, die inzwischen keinem Stand und keiner Familie mehr angehörte, wohl nirgendwo besser aufgehoben war als bei Diego und

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