Die Tochter der Tibeterin
Futter und die richtige Pflege. Ich möchte ihm diese Behandlung auch zukommen lassen, aber ich bin ein vielbeschäftigter Mann, und meine Frau fürchtet sich vor dem Pferd. Aber es lohnt sich, Kushog, es lohnt sich wirklich. Und Sie sind ein Mensch, der das beurteilen kann.«
Atan schwieg, sah an ihm vorbei, auf den Rappen, der mit zurückgelegten Ohren dastand. Als wenn das Tier seinen Blick gespürt hätte, durchlief ein Zittern seinen Körper. Unter dem feuchten Fell begannen die Muskeln zu spielen. Sein Schweif schlug an die Flanken. Kunsang machte eine freudige Bewegung auf das Pferd zu. Sofort fuhr der Hengst zurück. Dann senkte er den Kopf, mit zitternden Nüstern, und sah sie von der Seite an. Atan sprach sehr ruhig.
»Bleib ihm vom Leib, Kunsang.«
Sie wich zurück. Der Händler lachte.
»Die Kleine mag das Pferd. Sie kommt jeden Tag und spricht mit ihm. Das Tier ist gutartig, wenn man mit ihm umgehen kann.«
Atan blieb schweigsam. Nach einer Weile jedoch trat er langsam heran und legte dem Pferd die Hand auf die Schulter, so leicht und ruhig, als ließe sich ein Insekt darauf nieder. Ich sah, wie das schmutzige Pferd in ängstlicher Erwartung ein wenig erschauerte, bevor es sich wieder entspannte.
»Das Pferd wurde misshandelt«, sagte er.
»Oh, nein, Kushog! Zumindest nicht von mir«, rief Shastra entrüstet. »Was vorher mit ihm geschah, nun, darüber weiß ich nichts. Immerhin gehört dieses Pferd zu den heißblütigen Tieren.
Obwohl jedes Pferd Temperament hat, wenn man so will. Aber von dem hier würde ich sagen, dass – nun ja – dass es früher geschlagen wurde. Ein Mensch, der im frühen Alter geschlagen wird, wird meistens gehorsam, nicht wahr? Aber bei einem Pferd liegen die 34
Dinge natürlich anders.«
Atan hob die Brauen.
»Da mögen Sie recht haben. Ein Pferd vergisst nicht.«
Der Rappe, der noch immer die Ohren zurückgelegt und den Kopf abgewandt hatte, schien ihm aufmerksam zuzuhören. Er befand sich in einem Zustand absoluter Wachsamkeit. Ein wildes, feinfühliges Geschöpf, das man gedemütigt hatte. Gleichwohl zeigte sein körperliches Fluidum, das die äußere Schale durchdrang, die physische Selbstbehauptung eines edlen Tieres.
»Kommen Sie, Kushog!« Shastra verzog den Mund und zeigte alle Zähne. »Kommen Sie, wir trinken Tee und reden! Das Tier zahlt sich für Sie aus – dafür verbürge ich mich.«
Ich dachte, wenn Atan den Wunsch hatte, das Tier zu kaufen, würde er hart und unerbittlich feilschen. Shastra wollte das Tier loswerden, so viel war klar, aber nicht, ohne den besten Preis herauszuholen. Ich sagte zu Kunsang:
»Komm, wir gehen. Lass deinen Onkel entscheiden, ob er das Pferd will oder nicht.«
Kunsangs Augen wurden starr. Ich hatte inzwischen gelernt, ihr starkes innerliches Sich-Sträuben zu erkennen. Sie war ganz auf Abwehr. Was wurde nur aus ihr, wenn dieser Hang, den sie hatte, sich bei ihr durchsetzte? Aber das Leben ist immer schwierig, wenn man Kinder aufzieht.
Atan musterte das Tier mit scharfem, kühlem Blick. In Sachen Geschäftssinn und Menschenkenntnis war er sicherlich ebenso durchtrieben wie Shastra. Er würde mit zäher Geduld feilschen, mit Leidenschaft und Härte. Und das konnte Stunden dauern. Ich lächelte Kunsang an, um sie versöhnlich zu stimmen.
»Das Pferd ist tatsächlich schön. Ich denke, dass er es kaufen wird. Sonst würde er seine Zeit nicht mit Shastra vergeuden.«
Bei diesen Worten streichelte ich sanft ihren Nacken. Ich fühlte, wie sie sich entspannte, aber sie hob den Kopf nicht, auch als sie im Ton tiefster Befriedigung erwiderte:
»Ich wusste genau, dass es das richtige Pferd für ihn ist.«
Atan kam am Abend und erklärte, er habe das Pferd gekauft. Er hatte es sofort in Gewahrsam genommen, es weggeführt zu einem Freund, der den Hengst in einem sauberen, luftigen Stall untergebracht hatte.
»Es ist wirklich ein prachtvolles Tier«, sagte Atan am Abend zu mir.
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»Wie hat Kunsang das nur herausgefunden?«, fragte ich.
Er nickte geistesabwesend.
»Ich habe Kunsang viel von Pferden erzählt. Sie konnte nie genug davon bekommen.«
Er saß entspannt, hielt mit beiden Händen die kleine Teeschale fest.
»Nach Ilhas Tod war mir vieles schwergefallen. Ich habe eine Zeitlang in die falsche Richtung geblickt. Die Berge waren für mich zu einer Wand geworden. Ich hatte vergessen, dass dahinter Tibet beginnt. Dort oben, in großen Höhen, wird die Erde flach. Staub bedeckt sie im Sommer, Schnee im Winter, und
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