Die Tochter der Wälder
kennt.«
»Conor hat mir von ihr erzählt, und auch euer ältester Bruder, der mich bei meiner Ankunft begrüßte. Ich weiß, womit ihr es hier zu tun habt, glaubt mir, und ich bete für euch alle. Es ist eine Tragödie, dass euer Vater ihren wahren Charakter nicht begreift. Ich versuche nur, euch davon abzuhalten, ihn zu hastig zu beurteilen. Wieder einmal.«
»Ihr werdet also versuchen, mit ihm zu sprechen?«
»Ja.« Langsam stand Vater Brien auf. »Vielleicht treffen wir ihn ja jetzt alleine an. Conor, willst du mich begleiten? Oh, und übrigens …« Er suchte in einer Tasche seines Gewandes und holte etwas heraus. »Dein Freund ist nicht geflohen, ohne etwas zu hinterlassen, Sorcha. Er hat es gelassen, wo ich es sicher finden würde, daher nehme ich an, dass es für dich bestimmt war. Die Bedeutung ist mir nicht ganz klar.«
Er legte den kleinen Gegenstand in meine Hand, und die beiden gingen schweigend davon. Finbar beobachtete mich, als ich das Ding in meinen Fingern drehte und versuchte, die Botschaft zu erkennen. Das kleine Stück Birkenholz war geschliffen und geschnitzt worden, bis es bequem in einer kleinen Hand wie der meinen lag. Die Schnitzerei war zweifellos nicht die Arbeit eines Nachmittags; sie war präzise und kunstvoll und zeigte ein Maß an Fertigkeiten, das mich überraschte. Ich konnte die Bedeutung nicht verstehen. Es war ein Kreis und darin ein kleiner Baum. Der Form nach hielt ich ihn für eine Eiche. Am Fuß des Baums gab es zwei Wellenlinien – ein Fluss vielleicht? Wortlos reichte ich es Finbar, der es schweigend betrachtete.
»Wieso lässt ein Brite so etwas zurück?« sagte er schließlich. »Will er dich einer Gefahr aussetzen, falls es gefunden wird? Was ist der Zweck dieses Dings? Es kündet zweifellos davon, wer er ist, auf eine Art, die mir nicht klar wird. Du solltest es vernichten.«
Ich nahm ihm die kleine Schnitzerei ab. »Das werde ich nicht tun.«
Finbar sah mich an. »Werde nicht sentimental, Sorcha. Wir befinden uns im Krieg, vergiss das nicht – und du und ich, wir haben sämtliche Regeln gebrochen. Wir haben vielleicht das Leben dieses Jungen gerettet, vielleicht auch nicht. Aber erwarte nicht, dass er uns dafür dankt. Krieger lassen keine Spuren zurück, es sei denn, sie wollen gefunden werden. Oder es sei denn, dass der Hinterhalt bereit ist.«
»Ich werde es sicher aufbewahren«, sagte ich. »Ich werde es verstecken. Und ich bin mir der Gefahr bewusst.«
»Da bin ich mir nicht so sicher, Sorcha«, erwiderte mein Bruder. »Lady Oonagh wartet nur darauf, eine schwache Stelle zu finden. Und dann wird sie zuschlagen wie ein Wolf in der Nacht. Du kannst deine Gefühle oder die Wahrheit nicht gut verbergen. Sie hätte keine Gnade mit dir; und Vater würde es uns, sobald sie es ihm sagt, bitter vergelten. Und denk daran, was aus Conor würde, wenn sein Anteil bekannt wird. Es wäre besser gewesen, wenn du mir nur in jener Nacht geholfen und nichts weiter erfahren hättest.«
Diese brüderliche Bemerkung war kaum einen Kommentar wert. Außerdem musste ich an anderes denken.
»Es ist wohl unmöglich, dass er überlebt, oder?«
»Du weißt besser als ich, welche Chancen er hat«, meinte Finbar stirnrunzelnd. »Ein gesunder Mann, der weiß, wie man ein Feuer entfacht und Wild jagt, könnte sich verstecken und quer durchs Land kommen. Man müsste allerdings wissen, wohin man will.«
»Es ist so eine Verschwendung!« Ich konnte nicht richtig ausdrücken, wie mir zumute war, aber Finbar las meine Gedanken klar genug – er war immer gut darin gewesen, jeden Schild zu durchdringen, den ich gegen ihn errichtete.
»Lass es sein, Sorcha«, sagte er. »Vater Brien hatte Recht – wir können nichts mehr tun. Wenn er weg ist, ist er weg. Ich nehme an, seine Chancen, nach Hause zurückzukehren, waren nie sonderlich groß.«
»Warum hast du es dann getan? Warum bist du ein solches Risiko eingegangen?«
»Würdest du nicht auch lieber in Freiheit sterben?«
***
Ich verbrachte einige Zeit allein in meinem Arbeitsraum, bereitete eine Holundersalbe, und dann fegte ich die Kammer aus. Später ging ich nach draußen, weil ich Hunger bekommen hatte. Der Honigkuchen der dicken Janis hatte nicht sehr lange gereicht. Das Abendessen war keine angenehme Aussicht, denn an diesem wichtigen Tag würde man von der ganzen Familie erwarten, dass sie sich versammelte. Vielleicht würde ein Wunder geschehen und Vater Brien konnte meinen Vater überreden, die Hochzeit abzusagen.
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