Die Tochter des Magiers 01 - Die Diebin
ein Knacken und sprang auf die Füße. Es war der Stein, es knackte und krachte im Fels. Sie zog sich vorsichtig Richtung Gang zurück. Etwas glitzerte an der Wand. Wasser? Da kam Wasser aus dem Fels! Ein hässliches Knirschen folgte, und eine schwarze gezackte Linie sprang bis hoch zur Decke.
Das Wasser sprengt die Wand, erkannte Maru. Sie traute ihren Augen nicht.
Es knallte laut, als weitere Risse aufplatzten. Wasser quoll aus dem Stein, und im nächsten Moment stürzte die ganze Wand ein. Ein mächtiger weiß-schaumiger Schwall schoss in das Gelass. Die Kerze verlosch. Das Wasser raste wirbelnd in den Gang, ein reißender, eiskalter Strom. Maru schrie auf, als er sie erfasste und von den Beinen riss. Sie fiel, wurde von der starken Strömung in den Gang hinausgetrieben und kam erst hinter der Kammer des Raik wieder auf die Füße. Wo kam all das Wasser nur her? Es reichte ihr schon bis zu den Knöcheln. Plötzlich hörte sie erneut ein scharfes Knacken. Es kam vom Boden. Sie wurde mitsamt dem Grund, auf dem sie stand, angehoben. Das Wasser kam auch von unten!
»Utukku, hör auf! Es reicht!«, schrie sie.
Das Wasser stieg mit atemberaubender Geschwindigkeit. Es war so unglaublich kalt!
Der Boden unter ihr bebte immer noch. Gesteinsbrocken stürzten von der Decke. Wieder knallte es irgendwo. Das kam entweder aus der Kammer des Thymanbadh oder aus der des Raik. Eine Welle schoss in den Gang und holte Maru erneut von den Füßen. Wasser drang ihr in Mund und Nase, Steine stürzten neben ihr herab. Irgendetwas Dunkles, Flaches trieb gegen ihren Arm. Sie hielt es fest. Es war der Schild des Raik. Das Licht in der Kammer des Raik flackerte. Wenn jetzt die Fackel verlosch …
Utukku war plötzlich neben ihr. Er stand inmitten der wild tanzenden Strömung, so als stünde er sicher und bequem auf einer Sommerwiese. »Der Weg ist frei, Maru Nehis.«
Sie starrte ihn ungläubig an, aber er hatte recht. Da vorne, dort wo das Gelass war, fiel Licht auf das steigende Wasser. War etwa der Berg eingestürzt? Sie packte den Schild, duckte sich instinktiv darunter und kroch in diese Richtung. Steine polterten auf den Schild und rings um sie ins Wasser.
Wenig später sah sie es. Nicht nur die Wand, auch die Decke der Kammer war eingestürzt! Sie konnte hinaus! Und dort oben, wo Tasil vergeblich versucht hatte, ein Loch durch den Fels zu schlagen, leuchtete eine einsame Öllampe. Maru ließ den Schild fallen und versuchte, über die nassen Felstrümmer nach oben zu klettern. Das Wasser war so kalt, dass sie fast kein Gefühl mehr in den Fingern hatte. Sie rutschte ab. Der Druck des Wassers, das jetzt mit der Gewalt eines Gebirgsbaches aus der Wand schoss, spülte sie noch einmal in den Gang. Aber da war das Licht. Es war zum Greifen nahe, und sie würde nicht aufgeben. Maru kletterte, entdeckte Tasils Seil. Sie streckte die Hand aus, konnte es nicht erreichen. Ohne nachzudenken, stieß sie sich ab, packte es und klammerte sich fest. Mühsam zog sie sich nach oben. Dann hatte sie es geschafft. Sie ließ sich hustend neben die Öllampe fallen und küsste den trockenen Boden.
Maru lebte noch. Keuchend setzte sie sich auf. Es war herrlich, trockenen Grund zu fühlen! Von Utukku gab es keine Spur, doch er hatte sie gerettet – wieder einmal. Da lag Muqtaqs zerbrochene Axt. Tasil hatte es also wirklich versucht, wenn auch nicht sehr ernsthaft. Er konnte ihr gestohlen bleiben.
»Utukku?«, rief sie, um ihm zu danken.
Er antwortete nicht, nur das Wasser toste zu ihren Füßen. Es stieg immer noch. Sie musste hier raus, raus an die frische Luft, unter freien Himmel, raus aus diesen elenden Geheimgängen und Grabkammern.
Sie griff sich die Öllampe und lief los. Nach Norden, zu dem Ausgang, durch den sie hereingekommen war. Tasil hatte gesagt, er würde ihn offen lassen. Tasil …
Maru biss die Zähne zusammen. Er hatte sie im Stich gelassen. Sie wollte jetzt nicht an ihn denken. Dazu war später Zeit. Jetzt musste sie hier raus. Skalwala fiel ihr ein, die im Fels gefangene Alfholde. Natürlich, Utukku hatte sie befreit! Von wegen Märchen. Sie schien viel nachholen zu wollen. Hinter ihr rauschte das Wasser durch das Gestein. Es würde die Grabkammer überschwemmen – und dann? Wie lange würde es dauern, bis alle Kammern geflutet waren? Würde das Wasser dann auch diesen Gang überschwemmen?
Sie lief und lief, ohne sich umzudrehen. Tasil... Dieser Feigling hatte sie zurückgelassen. Tasil hatte sie benutzt. Von Anfang an. Wie
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