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Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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zurückhielt. Ihr kamen die Tränen.
    »Oh, Scheiße!« Blugg schnitt ein Gesicht. »Warum passiert dieser ganze Mist eigentlich zufällig immer mir?« Angewidert deutete er zur Tür. »Geh! Geh auf der Stelle zur Station der Schwester und tu, was sie dir auch immer sagt!«

    »Gratuliere«, sagte die Krankenschwester. »Du bist jetzt eine Frau.«
    Die Krankenschwester war ein säuerliches altes Wesen mit schweinchenhaften Augen, einer spitzen Nase und zwei Eselsohren. Sie zeigte Jane, wie sie eine Monatsbinde falten und was sie damit tun mußte. Dann ließ sie eine auswendig gelernte Lektion über persönliche Hygiene vom Stapel, gab ihr zwei Aspirin und schickte sie in den Schlafsaal zurück.
    Rooster war bereits dort. Er lag im Delirium auf seinem Bett, den Kopf in Verbände gewickelt. »Er wird das linke Auge verlieren«, sagte Dimity. »Das heißt, falls er überlebt. Sie sagen, wenn er heute nacht nicht stirbt, wird er vielleicht wieder gesund werden.«
    Jane berührte Rooster zaghaft an der Schulter, obgleich sie es kaum ertragen konnte, das zu tun. Seine Haut war so bleich wie Wachs und kalt. »Erheb dich und flieg davon«, murmelte er, verloren in irgendeinem weit entfernten Delirium. »Join the Pepsi generation.«
    Janes Hand zuckte zurück, als hätte sie sich verbrannt.
    »Ich kümmere mich um ihn. Also komm mir nicht in die Quere.« Dimity glättete aufgeregt die Decke. Trotz klang in ihrer Stimme. Nachdem sie fertig war, lehnte sie sich zurück, die Hände in die Hüften gestemmt, und wartete darauf, daß Jane sich mit ihr anlegte. Dann, als Jane nichts dergleichen tat, lächelte sie hämisch. »Zeit für dich, ins Bett zu gehen. Nicht wahr?«
    Jane nickte und ging in ihre Ecke.
    Das Zauberbuch erwartete sie. Der Schattenjunge hatte es, wie angewiesen, unter ihre zusammengefaltete Decke gelegt. Sie zog sich langsam aus, und es gelang ihr, die Decke auszubreiten und darunter zu schlüpfen, ohne das Buch zu zeigen. Als sie die Arme darum legte, durchfuhr sie ein Kribbeln, wie ein elektrischer Niedervolt-Strom. Es war ein merkwürdiges Gefühl.
    In dieser Nacht brauchte es anscheinend ewig, bis die Kinder einschliefen. Rooster ächzte und schrie und plapperte im Schlaf, und sein Schmerz erschreckte sie. Einige der kleineren Wesen krochen aus den eigenen Kojen, um mit Freunden zu kuscheln. Selbst die Ältesten unter ihnen seufzten gelegentlich und drehten sich auf die andere Seite, um sich von seinem Leid abzuwenden.
    Doch am Ende blieb nur Jane wach.
    Lautlos schlüpfte sie unter ihren Decken hervor und unters Bett hinab. Sie drückte das zerbrochene Brett auf und quetschte sich in den schmalen Raum zwischen dem Schlafsaal und der Mauer des Sandschuppens. Dort war es dunkel und staubig, jedoch nicht stickig, denn keine der beiden Mauern reichte ganz bis zur Decke. Ein schwacher Luftzug erwischte sie, und nackt, wie sie war, zitterte sie. Dennoch war es nicht kalt genug, daß sie unbedingt ihre Kleider überstreifen mußte. Blindlings griff sie hinter sich nach dem Zauberbuch und zog es nach.
    Rooster ächzte. Mit hoher klarer Stimme sagte er: »Zwei Rindfleischpasteten, Soße spezial, Gemüse, Käse« - Jane hielt den Atem an - »und ein Sesambrötchen.« Es war zu schrecklich, wie seine einsame Stimme zu niemandem in der Leere der Nacht sprach. »Teflon.« Sie faßte das zerbrochene Brett mit der Hand und drückte es zu. Jetzt, da es geschlossen war, hörte sie ihn nicht mehr.
    Sie ließ sich auf die Fersen nieder, legte sich das Zauberbuch auf den Schoß und öffnete es. Die Seiten waren schwarz und lichtlos, doch die Buchstaben leuchteten kühl. Sie waren silbrig für das Auge und glitschig bei der Berührung. Sie entdeckte das, als sie sich voll darauf konzentrierte, und in ihr flüsterte es bedeutsam, auch wenn sie die Bedeutung der einzelnen Worte nicht völlig begriff. Da war eine Tabelle von Kompressionsverhältnissen und hier ein Abschnitt über die Normierung von Toleranzen für Zylinder. Sie verweilte kurz über den Kalibrierungen für die Kristalle und blätterte im Vertrauen darauf weiter, daß ihre Fingerspitzen sie zum eigentlich Wesentlichen bringen würden. Sie las hier, las da und übersprang Seiten, bis sie schließlich das erreichte, was für sie wichtig war.
    Es war das Kapitel, das ihr sagte, wie man nun tatsächlich einen Drachen bediente.
    Bis zu diesem Augenblick hatte sie nicht gewußt, was sie vorhatte. Immer wieder ließ sie die Hände über die Schablonen mit ihren

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