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Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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geheimnisvollen Symbolen für Kondensatoren, Potentiometer, Widerstände und Erdungen laufen und senkte den Kopf, so daß sie die gedruckten Skalen und Stromkreise mit der Wange streicheln und dabei den Tintengeruch und den Geruch imprägnierten Papiers einatmen konnte, der von jeder Seite aufstieg, und es erschien ihr jetzt, sie sei dazu geboren worden, um eines Tages einen Drachen zu stehlen.
    Der Raum zwischen den Mauern war so eng, daß er ihr die Schultern einklemmte. Sie bemerkte es nicht. Sie hatte den Kopf so voll von schnellen schwarzen Drachen. Was unsichtbar für sie gewesen war, weil allgegenwärtig, hatte sich jetzt offenbart. Sie hörte sie überschallschnell durch den Himmel kreischen, angetrieben von Wut und Benzin. Sie spürte den Zug der Schwerkraft, der von ihnen ausging, die überhitzten Bugwellen, wenn sie vorüberstrichen. Und sie sah sich selbst, wie sie auf einem davonritt, davon, davon.
    Zunächst jedoch müßte sie das Zauberbuch beherrschen. Sie müßte lernen, wie man die Drachen bediente.
    Stundenlang brütete Jane über dem Buch, berührte und verinnerlichte das Kapitel magisches Zeichen um magisches Zeichen. Sie schloß die erste Lektüre rechtzeitig zum Frühstück ab und kroch aus der Mauer, als gerade die Weckpfeife blies. Sie wurde zum Essen geführt und war bis auf die Knochen erschöpft und glücklich.
    In der nächsten Nacht hörte sie zum erstenmal den Drachen zu ihr sprechen.

    Drei Tage später wurden Jane, Dimity und Thistle zur Maschinenfabrik gebracht. Die regulären Arbeitsbereiche waren alle besetzt, und nach einigem Hin und Her mit dem Vorarbeiter nahm Blugg einen Karton mit Maschinenrädern unter den Arm und führte sie die Treppe hinauf. Auf halber Höhe führte eine Reihe von Räumen rund um das ganze Gebäude. Es waren Rumpelkammern, aber Blugg fand für sie einen Platz zwischen einer hölzernen Treppe und der Spitze des Ziegelschornsteins eines Industrie-Destillierapparats. Er wies ihnen eine wackelige Werkbank an einem Fenstersims zu und befahl ihnen, die Räder von der Schmiere zu reinigen.
    Dann ging Blugg.
    Das Fenster war vor langer Zeit vollständig mit weißer, grüner oder grauer Farbe - gegenwärtig fiel das Raten schwer - übermalt worden, und zwischen dem oberen schiebbaren Fensterteil und dem oberen Rahmen klaffte ein Spalt von wenigstens einem Fuß. Es war festgeklebt und stand ständig offen. Kühle Luft strömte auf sie herab. Ein brauner, unter der Treppe verkeilter emaillierter Kerosinofen mühte sich, die Kälte zu lindern.
    »Tausch die Plätze mit uns«, schlug Dimity vor, sobald Blugg verschwunden war. »Thistle und ich möchten näher am Ofen sitzen.«
    Jane hätte sich fast geweigert. Aber Dimity beklagte sich ständig über Kälte; möglich, daß sie empfindlicher dagegen war. Und Thistle lächelte ziemlich höhnisch. Vielleicht war es das beste, ihnen nachzugeben.
    Sie stand auf, ging zur anderen Seite der Bank und setzte sich wieder, ohne ein Wort zu sprechen.
    Die Zahnräder hatten die Größe silberner Münzen, waren jedoch viel dünner. Sie hatten feine Zähne und kribbelten, wenn man sie am Rand berührte. Die Schmiere darauf war von einem fast durchsichtigen Braun und hatte sich verhärtet, so daß sie nicht leicht zu entfernen war. Sie arbeiteten eifrig, da sie wußten, daß Blugg regelmäßig zu ihrer Überwachung auftauchen würde.
    Aber die Inspektionen erfolgten nicht. Stunden verstrichen. Blugg hatte sie anscheinend vergessen. Jane sah beim Arbeiten blicklos vor sich hin, ihre Gedanken waren bei dem Zauberbuch und der Stimme des Drachen. Sie war sich nicht völlig sicher, ob die Stimme in der Nacht tatsächlich zu ihr gesprochen hatte. Sie träumte von schimmernden Ebenholzflanken und glatten stromlinienförmigen Oberflächen, von Kraft und Zähigkeit, eng verbunden mit unbarmherziger Schnelligkeit. Sie stellte sich vor, daß ihre Hand auf dem Gashebel lag und sie all diese erschreckende Macht beherrschte.
    Dimity neben ihr seufzte.
    Das gedämpfte silbrige Licht, das über die Fensterkante hereinströmte, wurde plötzlich vom Schatten flatternder Flügel durchkreuzt. Dimity sah auf und rief begierig: »Kröteneier!«
    »Kröteneier?« fragte Thistle einfältig. »Uuu. Wovon redest du eigentlich?«
    »Dort oben, unter dem Dach. Dort haben sie ihre Nester gebaut.« Dimity kletterte auf den Fenstersims und stellte sich auf die Zehen. Sie streckte einen Arm aus dem Fenster, so weit es gehen wollte, und zuckte ungeduldig mit dem

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