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Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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bohrte bis zur Rückseite des Nests und fand einen Klumpen klebriger warmer Eier. Sie schaufelte sie heraus, richtete sich in der Hüfte auf und kehrte zum Fenster zurück. Ungeschickt öffnete sie den Beutel und ließ die Eier hineinfallen. Sie rutschten als eine Masse hinab.
    Sie hatte nicht alle Eier erwischt. Wieder reckte sie sich bis zum äußersten, um die herauszuschaufeln, die ihr bisher entgangen waren. Diesmal bekam sie lediglich eine halbe Handvoll, zusammen mit zwei Fetzen Aluminiumfolie, einer zerbrochenen Glasscheibe und einer verchromten Hexennuß. Letztere ließ sie zum fernen Boden fallen.
    Zweites Nest. Rasch holte sie die Eier heraus. Gerade als sie die Hand zurückzog, peitschte ihr der Wind einen Schwall eisiger Luft durch die Kleider. Sie wußte schon, warum sie nicht nach unten schaute, aber bei dem jähen Luftwirbel verspürte sie die Höhenangst besonders. Aus Furcht und Enttäuschung wollte sie weinen, wagte es jedoch nicht.
    Wenn sie jetzt zu weinen begänne, würde sie vielleicht niemals damit aufhören.
    Dieses Nest enthielt zusätzlich zu den Eiern mehrere weitere Fetzen Folie sowie einen gezackten Streifen Kupferblech, der grün geworden war, und einen entsetzlichen Augenblick lang glaubte sie, etwas habe sie gestochen, als sie mit der Hand gegen die Spitze stieß. »Der Beutel ist schon halbvoll!« schrie sie. »Kann ich wieder reinkommen?«
    »Nicht genug!«
    »Aber mehr kann ich nicht erreichen. Wirklich, geht nicht!«
    Dimitys Gesicht erschien in der Fensteröffnung. Der Griff um Janes Bein verrutschte etwas, und Jane schrie vor Furcht auf. Mit zusammengekniffenen Augen schätzte Dimity die Lage ab. »Das da.« Sie streckte deutend den Finger aus. »Du kannst es erreichen.«
    Janes Hände schmerzten. Sie war sich nicht sicher, ob ihre Kraft ausreichte. Die Unterseiten der Simse schwankten ihr vor den Augen, weil sie so fest hinsah, aber als sie die Augen schloß, schien sich die Welt umzukehren, und sie mußte die Augen rasch öffnen, oder sie verlöre das Gleichgewicht.
    Sie zwang sich dazu, sich soweit hinauszustrecken, wie sie konnte.
    Die Hand wollte nicht ganz reichen. »Dimity ...«, begann sie zittrig.
    »Eier!«
    Es gab nur einen Weg. Jane drückte sich etwas höher das Fenster hinauf, bis ihr Gewicht auf halber Höhe der Oberschenkel ruhte. Sie streckte sich so weit, daß sie die Knochen knirschen hörte.
    Erneut schlüpfte ihre Hand in ein Nest. Sie spürte die Wärme der Daunen und dann die zähe, glitschige Masse darin. Sie krümmte die Hand und schaufelte Eier hinaus.
    Aber die Krötenvögel faßten allmählich wieder Mut. Sie krächzten und keckerten und strichen kurz und bedrohlich an ihr vorüber. Ein Vogel flog ihr fast ins Gesicht, und als sie zum Schutz den Ellbogen hochwarf, prallte er mit einem schleimigen Klatschen von ihrem Unterarm ab. Jane hob sich vor Abscheu der Magen.
    »Halt meine Beine ganz fest!« flüsterte sie. Sie war sich nicht im geringsten gewiß, ob man sie hören konnte, war jedoch außerstande, etwas lauter zu sprechen. Sie reckte sich von der Taille aus.
    Dann war sie wieder am Fenster. Sie klammerte sich daran, drückte es fest an sich.
    Lange Zeit war sie zu jeder Bewegung unfähig. Als sie sich wieder etwas erholt hatte, öffnete sie zitternd den Beutel und ließ die letzte Handvoll Eier hineinfallen. Etwas Rotes schimmerte darin. Sie fischte es mit zwei Fingern heraus.
    Es war ein Rubin.
    Der Rubin war halb so lang wie ihr Daumen, sechseckig im Querschnitt und flach an beiden versilberten Enden. Ein Industriekristall, der in okkulten Informationssystemen zum Speichern und Verarbeiten von Daten verwendet wurde. Kleiner als ein Bleistiftstummel war er womöglich mehr wert als Jane selbst.
    Das Problem war, sie traute sich nicht, ihn mit den Eiern hineinzubringen. Sie hätte damit Dimitys Habsucht angestachelt, und Dimity hätte sie wieder hinausgeschickt, um weitere zu suchen. Jane hätte ihn ins Nest zurückgelegt, wenn sie sich getraut hätte, aber sowohl ihre Kraft als auch ihre Nerven waren am Ende. Wenn sie ihn fallenließe und man ihn später fände, würde Dimity davon hören und sich zusammenreimen, was geschehen war.
    Die Oberseite des Fensterrahmens war weiß vor Mist. Sie steckte den Kristall mitten hinein und sagte: »Laß mich rein! Ich hab deine Eier.«

    Dimity schnappte Jane den Beutel aus der Hand, noch ehe sie mit puddingweichen Beinen vom Sims heruntergeklettert und auf der Bank zusammengebrochen war. »Gute kleine

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