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Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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sie irgendeinen Sinn. Es bestand keine Möglichkeit, Fragen zu stellen. Eine Erklärung würde sowieso Stunden benötigen. Und sie war nicht in der Verfassung für Erklärungen. Alles erschien hoffnungslos undurchsichtig.
    »Du weißt, wo mein Büro ist«, sagte Tom. »Das Spiel steht bereit.«
    »Was soll das? Was geht hier vor?«
    »Ich hab mal ’n paar Fehler gemacht.«
    »Oh, geh doch nicht so hart mit dir ins Gericht«, sagte Wicked Tom. »Jeder macht Fehler. Wie willste sonst lernen?«
    »Aber ich möchte noch immer wissen ...«, begann Jane.
    Puck ging auf Tom los und packte ihn vorn am Hemd. »Ihr geschieht nichts! Kapiert?« sagte er hitzig. »Egal was passiert, sie spaziert hier ungehindert raus!«
    »Sie hat mir nix getan. Warum sollte ich ihr was tun? Nicht, daß du da was zu sagen hättest.«
    Alles Leben wich aus Puck. »Ja, ja.« Er ließ das Hemd von Wicked Tom los. Sie traten durch den maurischen Torbogen.
    Auf der anderen Seite des Seidenvorhangs lag ein abgewetzter und schmuddeliger Läufer. Graues Linoleum wellte sich unter den Füßen. Ein schlecht erleuchteter Flur führte an Zimmern vorüber, die mehr als verwahrlost waren. Man hatte die Türen entfernt, und Jane sah dürre Junkies, die auf pissefeuchten Matratzen vor sich hindösten. An einer der Wände hing ein handgeschriebenes Schild, worauf stand: »Wir Säubern deine Nadel.«
    Tom warf Jane einen scharfen Blick zu. » Das ist das Gift. Nicht dieser Scheißdreck da vorn. Keine Illusionen. Keine Träume. Keine Lügen. Nichts außer der absoluten Wahrheit.«
    Letzteres riß Puck kurzzeitig aus seiner Betäubung. »Was ist die Wahrheit?« fragte er düster.
    »Nun, wir werden’s rausfinden, oder?«
    Am Ende des Flurs befand sich eine richtige Tür. Tom öffnete sie in ein Zimmer, das lediglich von sechs Fernsehgeräten erhellt wurde. Fünf waren über den Fußboden verteilt, ein sechstes stand auf einem metallenen Aktenschrank. Die Bildschirme zeigten nur Schnee. Waren sie stets auf tote Kanäle eingestellt, fragte sich Jane, oder war es nur so, daß in dieser einen Nacht keiner sendete?
    Jemand hatte einen Kartentisch mit zwei wackeligen Stühlen davor aufgestellt. Auf der Tischplatte lagen zwei Lederriemen und zwei gefüllte Spritzen. Puck setzte sich auf einen der Stühle. Sein Blick war leer.
    Die Fernsehgeräte knisterten und rauschten.
    Wie redete man jemandem etwas aus, das man selbst nicht verstand? Jane drückte Puck die Schulter und flüsterte: »Bitte, tu’s nicht!«
    »Es bleibt ihm nichts anderes übrig, junge Dame«, sagte Tom fast bedauernd. »Das Ganze hier stand schon lange fest, ehe du auf der Bildfläche erschienen bist.« Er setzte sich Puck gegenüber. »Wir spritzen also und probieren’s aus. Bist du damit einverstanden?«
    Puck nickte.
    Sie schlangen sich die Riemen um die Oberarme. Als die Riemen festgezurrt waren, ballten sie die Hände zur Faust und ließen wieder los, um die Venen aufzupumpen. Tom überließ Puck die Wahl der Spritze. Er hob die andere auf und musterte die milchiggraue Flüssigkeit darin. »Du blickst auf die Grundlage unserer ganzen Zivilisation.«
    »Was?« frage Jane.
    »Der Kolben.« Er schwenkte die Spritze wie eine Zigarette in der Luft. »Dies ist die Viertakt-Maschine in ihrer einfachsten Gestalt. Einziehen. Kompression. Zündung. Ausstoß. Elegant.«
    »Nur dies eine Mal«, brummte Puck grimmig, »nur dies einzige Mal könnte ich ohne deine schlauen Sprüche auskommen.« Er ließ den Ellbogen auf den Tisch plumpsen. Tom kicherte und machte es ihm nach. Sie verschränkten die Daumen ineinander.
    »Fertig?«
    »Bringen wir’s hinter uns.«
    Sie hoben die Spritzen mit der freien Hand auf und setzten sie leicht auf den Unterarm des jeweils anderen. Die Nadeln schwebten darüber, hielten inne, bohrten sich hinein und glitten schließlich unter die Haut.
    »Puck ...«
    »Nicht«, sagte er. »Kein einziges Wort.«
    »Aber ich ...«
    » Ich möchte es nicht hören! Okay? Ich weiß, was ich hören möchte, und ich bin ziemlich sicher, daß es nicht das ist, was du sagen willst.« Zu Tom sagte er: »Erster Takt.«
    Die Kolben zogen sich ein wenig zurück. In jedem Glaszylinder wand und krümmte sich eine Schlange Bluts. Der Lärm aus den Fernsehgeräten wurde ohrenbetäubend. Der bläuliche Glanz bildete rosafarbene Schatten auf den Gesichtern der Duellanten, dämonenhafte Brauen über den Augen und harte Halbmonde oberhalb der Kinne. Die Blicke schlossen sich ineinander. Jane stand

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