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Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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können, schossen geschorene Burschen mit feuchten Taschentüchern vor dem Mund heran, packten die Kanister und warfen sie in die Truppen zurück.
    Ein Windhauch breitete eine der Wolken sanft über jenen Teil der Menge aus, wo Jane stand.
    Ihr blieb die Luft weg! Sie konnte nicht sehen! Ihre Haut brannte! Sie hustete, würgte, weinte erbärmlich. Rotz lief ihr aus der Nase. Eine Gesichtsseite fühlte sich an, als hätte jemand mit Nesseln darüber gewischt. Stolpernd, vornübergebeugt tastete sie nach einem Ausgang.
    Und dann nahm sie wunderbarerweise jemand bei der Hand und führte sie weg. Sie verspürte kühle Luft auf dem Gesicht. Sie blinzelte und sah durch das Wasser in den Augen auf eine offene Straße.
    »Komm schon«, knurrte ihr Wohltäter. »Bald gibt es noch mehr Gas.«
    Als sie dem Platz entkommen waren, blieb Jane jedoch stehen. Sie grub die Fersen in den Grund und riß sich los. Dann wischte sie sich die Augen an einer Schulter ihrer Jacke ab und die Nase an der anderen. Durch ihren Tränenschleier sah sie zu dem Aufruhr zurück.
    Der Rauch von einhundert Feuern hatte aus dem Himmel ein Zelt gemacht und es dann schlammig rot angemalt. Unter seinem düsteren Baldachin hockten dunkle Wesen über den Körpern der Gefallenen. Einige stahlen Brieftaschen. Andere nicht. Einige davon, bei deren Befreiung sie geholfen hatte, erkannte sie wieder. Sie waren aus dem Gefängnis entflohen.
    »Keine Zeit für eine Besichtigung«, drängte ihr Gefährte. »Die Grünröcke kommen.« Und in der Tat hörte sie den Gleichschritt der Kanonenstiefel frischer Elfentruppen. Er gab ihr einen Stoß, und sie rannten weg. Erst da dachte sie daran, sich umzuschauen und nachzusehen, wer ihr Retter war.
    Es war Knochenkopf.

    Als es klar war, daß niemand folgte, kam Jane stolpernd zum Stehen. Sie mußte sich übergeben. Knochenkopf stützte sie; er hatte ihr einen Arm um die Schultern gelegt, während sie die Asche, den Wahnsinn und das Gift aus sich herauswürgte. Sie richtete sich wieder auf und war überraschend klar im Kopf.
    »’n Aufruhr, was?« meinte Knochenkopf.
    Sie sah ihn an.
    »Ich hab diesem Scheißkerl glatt den Finger abgebissen. Er hat ’nen großen alten Goldring angehabt. Der hatte überall klitzekleine Smaragde und Rubine und so ’nen Scheiß. Hab ihn hier.« Er tätschelte hämisch eine blutige Hemdtasche. »Also hab ich heute nacht doch einen netten kleinen Gewinn herausgeschlagen.«
    Knochenkopf war erschreckend häßlich wie immer. Aber die Augen hatten sich verändert. Sie waren jetzt grün mit goldenen Flecken, wie Blätter im Frühsommer. Ein lebhafter Humor leuchtete heraus, als wäre die Knochenkopfgestalt lediglich Teil einer Rolle, die er spielte, oder als würde etwas ihn als Maske benutzen und durch die Augenhöhlen seines Schädels spähen. »Da hat sich was in deinem Ohrring verfangen«, sagte Jane.
    »Hm?« Knochenkopf drehte sich um und wollte Janes Hände wegschlagen, die ihm ans Ohr faßten. Zu spät. Sie schloß die Finger um einen Talisman, der ihm vom Ohrläppchen herabbaumelte. »He, pass auf!«
    Sie riß den Talisman ab. Er stieß einen aufgeschreckten Ruf aus, waberte und schrumpfte. Gesicht und Miene veränderten vollständig ihre Natur. Die Tätowierungen verschwanden und gleichzeitig sein schlaffer bösartiger Ausdruck. Er war nicht mehr Knochenkopf.
    Er war Puck Aleshire.
    Jane warf einen Blick auf den Talisman - Bernstein, Knochen, eine supraleitende Scheibe, zwei Blauhäherfedern - und warf ihn weg. Es war nichts; sie könnte jederzeit selbst so einen herstellen, wenn sie es wollte. »Was zum Teufel tust du hier?«
    »Ich habe dich gesucht, okay? Heilige Scheiße, tut das weh!« Er zuckte zusammen. Puck trug einen zerlumpten Wollmantel, der ihm überhaupt nicht paßte. »Sieh mal, ich weiß, du hast mich nicht darum gebeten, mich um dich zu kümmern. Aber ich bin nun mal hier. Und wenn du nicht so bekifft wärst, wärste froh drum. Wir müssen hier raus. Sie haben die Messer hervorgeholt. Sie werden sie nicht wegstecken, wenn ihnen die Elfen ausgehen.«
    Er faßte sie am Arm und zog sie davon.
    Während sie ihm nacheilte, mußte sich Jane eingestehen, daß Puck wie ein Held aussah. Die Augen blitzten, die Kinnlade war angespannt. Kurzfristig wurde ihr das Herz weich. Dann blickte sie hinab. Etwas baumelte aus seiner Hosentasche. Es war hastig und unvollständig hineingestopft worden, Teil eines schwarzen Kleidungsstücks. Ein Höschen. Machart und Material waren ihr vertraut.

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