Die Tochter des stählernen Drachen
höheren Energieniveau als ihre, und ihre Welt existiert auf einem Energieniveau, das exakt um so viel niedriger liegt, als unseres höher liegt. Die Trennung ist absolut. Nichts aus unserer Welt kann in ihrer Welt existieren, nichts aus ihrer Welt in unserer. Wenn Sie den Arm in die tiefere Welt stecken, würde er mit großem Knall explodieren, weil jedes seiner Atome augenblicklich in Energie umgewandelt wird. Es ist möglich, das Traumtor zu passieren, ja. Es ist jedoch nicht möglich, etwas in ihre oder aus ihrer Welt mitzunehmen.«
»Da ist doch noch immer dieser Kinderhandel«, sagte Fata Jouissante. Der Emporkömmling strahlte, und sein Gesicht verzog sich jäh zu einem höhnischen Grinsen, als genösse er eine unerwartete Obszönität. »Für jemanden, der nicht an die Möglichkeit eines Austauschs glaubt, ziehen Sie einen ganz schönen Gewinn aus Wechselbälgen.«
Ärger erblühte auf den milchweißen Lippen Incolores, und ihre Augenbrauen sträubten sich wie schwarze Flammen. Aber den Ärger durchzog eine heimliche Belustigung. Sie verhielt sich wie ein Raubtier, das auf einen Feind trifft, den es nicht ganz ernst nimmt. »Es besteht kein materieller Verkehr zwischen den Welten, und das ist alles, was zählt. Die Wechselbälge sind ein Fall für sich, ein Sonderfall, wenn Sie so wollen. Sie ...« Sie blickte auf. »Aha! Das neue Spielzeug unseres Gastgebers.«
Alle Blicke richteten sich auf Jane.
»Oh, bitte.« Jane täuschte einen gequälten Gesichtsausdruck vor, obgleich ihr ganzes Interesse dem Gespräch galt, das sie gerade unterbrochen hatte. »Kein Spielzeug. Sagen wir lieber eine Investition.«
»Wo liegt da der Unterschied?« Der Emporkömmling sprach nicht zu ihr, sondern zu ihren Titten, ihren Stiefeln, dem klingelnden Gewirr aus Ketten, Schlössern und Schlüsseln, die von dem Gürtel um ihre Hüfte herabbaumelten.
Jane warf Fata Jouissante einen seitlichen Blick zu und sagte: »In meinem Fall bedeutete es, daß es sich Galiagante wohl ernsthaft überlegen wird, bevor er mich wegwirft.«
Fata Incolore schnaubte, und ihre Rivalin war vielleicht ein wenig errötet. Corvo räusperte sich streng und trat zwischen beide. »Sagen Sie«, meinte er zu Jane, »stimmen die Geschichten, die man so erzählt? Über Sie und Galiagante?«
»Er hat mich mit einem Bündel Silber in seiner Wohnung erwischt«, gab Jane zu. »Offensichtlich nicht in diesem Outfit - das ist einfach ein Phantasiekostüm. Aber ich bin eine Berufsdiebin gewesen, ja. So haben Galiagante und ich uns entdeckt.«
»Ich habe gehört, Galiagante arbeitet an einer Fernseh-Sondersendung, die auf Ihren Heldentaten basiert.«
»Eine Serie, habe ich gehört«, warf der Emporkömmling ein.
»Vermutlich zieht Galiagante in Betracht, mir die Adressen einiger seiner Freunde zu geben, damit wir die Beute unter uns aufteilen.«
Der Emporkömmling lachte so sehr über diese Worte, daß ihm der Hut herabfiel. Selbst Jane mußte wegschauen.
Kellner streiften durch die Menge, Kinderarbeiter, die für diese Gelegenheit in so phantastische Kostüme wie Blumenblattkleider, Hummelpelzgewänder, Fuchsrebenschals und Eichelmützen gekleidet waren. Einige hatten weiße Gänseblümchenkränze um die Schultern gelegt. Andere trugen Pilze, die groß genug waren, um als Schirme zu dienen. Einige wenige war nur zur Dekoration da; sie hüpften und sprangen in einer grotesken Parodie kindlichen Spiels umher. Die meisten waren so ernst und feierlich wie die Geister, die die Toten in den Hades geleiteten.
Ein Mädchen im Gänseblümchenrock und ein Junge mit enganliegender, stacheliger brauner Hose und Weste sowie einem Hut in Distelform kamen mit einer silbernen Platte vorbei, worauf ein abgehäuteter Pferdekopf lag.
Fata Incolore winkte den Pferdekopf zu sich heran. Sie nahm Messer und Löffel und löste geschickt die Augen heraus. Ein Auge legte sie auf einen kleinen weißen Teller. »Für Sie.« Das andere Auge nahm sie zwischen Daumen und Zeigefinger und stopfte es sich in den Mund, so daß sich ihre Wange ausstülpte. Jane sah ihr entsetzt beim Kauen zu. Das gräßliche Auge starrte leer nach oben. Es erinnerte sie unausweichlich an Melanchthons Fabel von den Jägern und ihren Mondsteinen. Sie fühlte sich davon gefangen und konnte nicht wegsehen.
»Darf ich?« Corvo holte ein Messer hervor und machte sich mit gewaltiger Würde daran, das Auge zu zerschneiden. Glasige Flüssigkeit quoll auf den Teller. Er spießte ein Stückchen auf. »Wie bei so
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