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Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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suchte seine Augen. Er packte sie jedoch geschickt an den Handgelenken und drückte ihr die Arme auf den Rücken. Sie preßte sich mit dem ganzen Körper gegen ihn und wollte ihm mit den Zähnen die Halsschlagader durchbeißen. Darauf hatte er nur gewartet. Für einen Sekundenbruchteil war ihr Ohr neben seinem Mund.
    »Kunosoura«, murmelte er so leise, daß ihn Jane unter gewöhnlichen Umständen unmöglich hätte verstehen können. Aber Jane kannte seinen wahren Namen und hatte ihn damit gerufen. Sein geflüstertes Wort durchfuhr ihren Körper.
    Kunosoura. Es bedeutete Hundeschwanz.
    Lesya Incolores wahrer Name.
    Beim Klang dieses Namens verschwand die Illusion einer Fata Jouissante aus dem Gesicht. Bestimmte Gesichtszüge verschmolzen ineinander, einige wurden härter, andere weicher, wieder andere schärfer. Dann war Incolore wieder völlig sie selbst. Die Augen schlossen sich, und die Gliedmaßen wurden schlaff. Rocket nahm ihren zusammengesunkenen Körper auf die Arme.
    Er wies mit dem Kinn auf eine Tür. »Öffnen Sie, bitte!«
    Gleichzeitig mit der Rückkehr von Fata Incolore war die Kraft verschwunden, die Jane zur Passivität verdammt hatte. Sie sprang vom Stuhl auf und öffnete die kleine Tür, auf die er gedeutet hatte.
    Sie brachten die Fata Incolore in einen fensterlosen Raum, an dessen Wänden Reihen von Karnevalsmasken hingen. Rocket legte seine Schwester auf ein Sofa. »In diesem Schränkchen ist ein Apothekenkasten«, sagte er. »Wenn sie zu sich kommt, werden wir ihr zwei der weißen Tabletten geben. Das wird reichen.«
    Jane richtete sich auf, nachdem sie sich vergewissert hatte, daß Incolore bequem lag.
    Sie sahen sich scheu an.
    »Nun«, sagte Rocket schließlich, »ein Glück, daß ich vorbeigekommen bin.«
    »Ja«, sagte Jane, »ein Glück.«
    »Entschuldigen Sie bitte, Ihnen meine Gegenwart zweimal an einem Tag aufgedrängt zu haben, Madame. Mir ist klar, daß Sie mich nicht leiden können ...«
    »Hören Sie, ich mag Sie, okay? Ich mag Sie sehr.«
    Rocket trat einen Schritt vor, und Jane trat einen Schritt zurück. Er blieb verwirrt stehen. »Dann - warum? Wenn du mich wirklich magst, warum benimmst du dich dann so? Warum versuchst du beständig, mich aus der Fassung zu bringen?«
    »Ich möchte dich nicht in diesen ganzen Scheiß hineinziehen«, sagte Jane. »Das ist alles. Hier geht etwas vor, und ich möchte dir nicht weh tun.«
    »Tu mir ruhig weh.« Rocket war der steifste, ehrlichste Bursche, den sie je zu Gesicht bekommen hatte. »Solange meine Ehre nicht befleckt wird, magst du mit mir umspringen, wie du es wünschst. Behandle mich wie den letzten Dreck, wenn es dich glücklich macht. Es kann nicht schlimmer sein als der Schmerz über deine Nichtachtung.«
    Allmählich glitt ihr die Sache aus der Hand. Um die Dinge wieder ins Lot zu bekommen, sagte Jane so kühl, wie sie nur konnte: »Ihre Schwester ist mit ihren politischen Spielchen völlig Amok gelaufen, Sir. Sie wollte mich in ein Schwein verwandeln.« Plötzlich ging ihr die absurde Natur des Ganzen auf, und sie kicherte erschrocken. »Ein Schwein!«
    »Das war Fata Jouissante«, erinnerte Rocket sie. »Aber du bist zu Recht wütend, und wenn ich es auch nicht wiedergutmachen kann, so kann ich wenigstens Erklärungen bieten.« Er seufzte und zwickte sich in den Nasenrücken. »Die Augen der Hirnschale sind empfindliche Mechanismen. Eine größere Verwandlung unter einem Auge durchzuführen, würde es - wie soll ich es nennen? - verzerren. Nein, es würde das Auge besessen machen . Es würde sich anschließend weigern, etwas anderes als die Tat selbst anzusehen, immer und immer wieder. Das würde Lesyas Macht unkalkulierbar schmälern. Aber unter dem Banner der Liebe wird manche merkwürdige Tat begangen.«
    »Liebe! Zu wem?«
    »Nun, Lesya natürlich. Arme Jouissante! Sie lebt in der Furcht vor jenem Tag - und er wird kommen -, da Lesya ins unsichtbare Kolleg erhoben und eine Wächterin wird. Zur Wächterin gemacht zu werden, ist ein schrecklicher Skandal und ist eine ebenso große Ehre. Eine größere Ehre könnte niemand je erstreben. Die Aussicht darauf erweckt in jedem daran Beteiligten extreme Gefühlsregungen.« Er hob die Schultern. »Selbst unter den besten Umständen spielen die Mächtigen solche unsauberen Spielchen, wenn sie sich über die Liebe lustig machen.«
    Darüber dachte Jane lange und schweigend nach. Schließlich fragte sie: »Ist der Baldwynn - ein Wächter?«
    Rockets ganze Wärme war fortgeblasen wie

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